Das Buch der Schatten 1 - Verwandlung
genetischen Aufbau hatten. Meine Eltern, meine Familie – wir waren so normal, wie man nur sein konnte. Der Verkäufer hatte nur dummes Zeug geredet.
Ganz plötzlich ließ ich den Schwamm fallen, den ich in der Hand gehalten hatte, und richtete mich auf. Stirnrunzelnd blickte ich aus dem Fenster. Es war dunkel. Ich sah mich im Raum um, denn ich empfand ein starkes … ich war mir nicht mal sicher, was. Kam ein
Gewitter heran? Ein vages Gefühl der Gefahr regte sich in der Luft.
Ich hatte die Spülmaschine gerade zugemacht, da schwang die Küchentür auf. Meine Eltern standen da, mein Vater war ganz außer sich, meine Mutter schmallippig und völlig aufgelöst.
»Was ist los?«, fragte ich und drehte den Wasserhahn zu. Mein Herz fing an, laut zu pochen.
Meine Mutter fuhr sich mit der Hand durch ihr glattes rostbraunes Haar, das Mary. K.s Haar so ähnlich war. »Sind das deine?«, fragte sie. »Die Bücher hier über Hexen?« Sie hielt die Bücher hoch, die ich bei Practical Magick gekauft hatte.
»Mhm«, sagte ich. »Na und?«
»Warum hast du sie?«, fragte meine Mutter. Sie trug noch ihre Arbeitskleider und sah zerknittert und müde aus.
»Es ist interessant«, sagte ich, verblüfft über ihren Ton.
Meine Eltern sahen einander an. Das Deckenlicht schimmerte auf der kahlen Stelle auf dem Kopf meines Vaters.
»Interessieren sich andere in der Schule auch dafür, oder nur du allein?«, fragte meine Mutter.
»Mary Grace«, sagte mein Vater, doch sie achtete nicht auf ihn.
Ich spürte, dass ich die Stirn runzelte. »Was meinst
du damit? Das ist doch keine große Sache, oder?« Ich schüttelte den Kopf. »Es ist nur … interessant. Ich wollte mehr darüber wissen.«
»Morgan«, fing meine Mutter an, und ich konnte nicht glauben, wie empört sie war. Gegenüber Mary K. und mir blieb sie so gut wie immer ruhig, egal wie verrückt es gerade in ihrem Leben zuging.
»Was deine Mutter dir zu sagen versucht«, warf mein Vater ein, »ist, dass diese Bücher über Hexerei nicht die Art von Lektüre sind, die wir uns für dich wünschen. « Er räusperte sich, zog an dem V-Ausschnitt seines Pullunders und sah aus, als wäre ihm unglaublich unbehaglich zumute.
Mir blieb der Mund offen stehen. »Wieso?«, fragte ich.
»Wieso!«, fuhr meine Mutter auf und ich zuckte fast zusammen bei ihrem Tonfall. »Weil es um Hexerei geht!«
Ich starrte sie an. »Aber es ist nicht wie … schwarze Magie oder so«, versuchte ich zu erklären. »Ich meine, da ist nichts Schlechtes oder Furchterregendes dran. Man verbringt nur Zeit miteinander und tritt in Kontakt mit der Natur. Was ist denn dabei, den Vollmond zu feiern?« Ich erwähnte weder Peniskerzen noch Energieblitze noch Nacktschwimmen.
»Es ist weit mehr als das«, beharrte meine Mutter. Sie hatte ihre braunen Augen weit aufgerissen und war
angespannt wie eine Klaviersaite. Sie wandte sich meinem Vater zu. »Hilf mir, Sean.«
»Schau, Morgan«, sagte mein Vater, der um einiges ruhiger blieb. »Wir machen uns Sorgen. Ich denke, wir sind recht aufgeschlossen, aber wir sind nun mal Katholiken. Das ist unsere Religion. Wir gehören der katholischen Kirche an. Die katholische Kirche billigt weder Hexerei noch Menschen, die Hexerei studieren.«
»Ich glaube das nicht«, sagte ich, denn langsam verlor ich die Geduld. »Ihr tut ja gerade so, als wäre das eine gigantische Bedrohung oder so.« Erinnerungen daran, wie übel mir nach den beiden Kreisen gewesen war, blitzten durch meinen Kopf. »Ich meine, hier geht es um Wicca. Das ist, als würde man gegen Tierversuche demonstrieren oder um den Maibaum tanzen. « Einige der Fakten über Wicca, die ich in meinem Buch gelesen hatte, kamen mir in den Sinn. »Wisst ihr, die katholische Kirche hat viele Traditionen übernommen, die ursprünglich auf Wicca zurückgehen. Der Mistelzweig zu Weihnachten zum Beispiel oder das Ei zu Ostern. Das waren beides uralte Symbole einer Religion, die viel älter ist als das Christentum oder das Judentum.«
Meine Mutter starrte mich an. »Miss«, sagte sie, und da wusste ich, dass sie wirklich wütend war. »Ich sage dir, dass wir in diesem Haus keine Hexerei dulden. Ich sage dir, dass die katholische Kirche es nicht billigt. Ich
sage dir, dass wir an einen Gott glauben. Und jetzt will ich, dass diese Bücher aus dem Haus verschwinden!«
Es war, als wäre meine Mutter mit einer außerirdischen Doppelgängerin ausgetauscht worden. Es klang so ganz und gar nicht nach ihr und vor Erstaunen darüber stand
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