Das Buch der Schatten 2
als vierzehn. Sie stieg aus dem Auto und schob sich an Cal vorbei. Sie war augenblicklich von Freunden umringt, doch sie wirkte unglücklich und in sich gekehrt. Ich fragte
mich, was sie ihnen wohl erzählen würde. Dann kam Bakker Blackburn näher, ihr Freund, und sie gingen zusammen weg.
»Wie geht’s dir?«, fragte Cal und drückte mir einen Kuss auf die Stirn. »Ich habe viel an dich gedacht. Ich habe gestern Abend angerufen, aber deine Mutter hat gesagt, du würdest schlafen.«
Ich sah, dass wir angeglotzt wurden – von Alessandra Spotford, Nell Norton und Justin Bartlett. Natürlich waren sie überrascht, Cal Blaire, den menschlichen Gott, mit Morgan Rowlands zu sehen, dem unscheinbarsten Mädchen auf der ganzen Schule, ja, in der ganzen Stadt.
»Ja, ich glaube, mein Kopf hat einfach dichtgemacht. Danke, dass du angerufen hast. Ich erzähle dir später alles. « Er drückte meine Schulter, und wir gingen dahin, wo der Hexenzirkel – wir waren jetzt ein Hexenzirkel und nicht mehr nur eine Gruppe von Freunden – herumhing, zu den Zementbänken auf der östlichen Seite der Schule. Das rote Ziegelsteingebäude sah beruhigend vertraut aus und unverändert, aber das war auch so ungefähr das Einzige in meinem Leben, was heute noch so war wie in der vergangenen Woche.
Acht Augenpaare blickten uns an, als wir den löchrigen ziegelsteingepflasterten Weg entlangkamen. Ich suchte Brees Gesicht. Sie musterte sorgsam ihre braunen Wildlederstiefel. Sie sah schön aus und unnahbar, cool
und reserviert. Vor zwei Wochen war sie noch meine beste Freundin auf der Welt gewesen, der Mensch, den ich nach meiner Familie am meisten liebte, der Mensch, der mich am besten kannte.
Einem Teil von mir lag noch sehr viel an ihr, er wollte sich ihr immer noch anvertrauen, so unmöglich das jetzt auch war. Ich überlegte, ob ich einer meiner anderen Freundinnen von meinen Problemen erzählen sollte, etwa Tamara Pritchett oder Janice Yutoh, aber irgendwie konnte ich das nicht.
»Hi, Morgan, hi, Cal«, sagte Jenna Ruiz, deren Miene so offen und freundlich war wie immer. Sie schenkte mir ein warmes Lächeln und ich lächelte zurück. Matt Adler saß neben ihr, den Arm um ihre Schulter. Jenna hustete und hielt sich die Hand vor den Mund und einen Augenblick sah Matt sie besorgt an. Sie schüttelte den Kopf und lächelte ihn an.
»Hi, Jenna. Hi, alle miteinander«, sagte ich.
Raven Meltzer sah mich mit offener Abneigung an. Ihre dunklen Augen, dick umrandet mit Kajal und mit Glitzer betupft, glühten vor innerem Zorn. Sie hatte Cal für sich gewollt, genau wie Bree. Genau wie ich.
»Samhain war toll«, sagte Sharon Goodfine und verschränkte die Arme vor ihrem üppigen Busen, als wäre ihr kalt. Sie sprach das Wort richtig aus: So-wen. »Ich fühle mich ganz anders. Ich habe mich das ganze Wochenende anders gefühlt.« Ihr sorgfältig zurechtgemachtes
Gesicht wirkte eher nachdenklich als versnobt.
Ohne zu überlegen, was ich tat, warf ich ganz behutsam, ganz sanft meine Sinne aus, tastete nach den Gefühlen der Menschen um mich herum. Es fühlte sich so an wie während des Kreisrituals auf dem Friedhof, doch diesmal lenkte ich es. Diesmal tat ich es mit Absicht.
Nur flüchtig streifte mich der Gedanke, dass die Gefühle meiner Freunde vielleicht privat bleiben, dass sie nur ihnen gehören sollten.
Jenna war genauso, wie sie erschien: offen und gutmütig. Äußerlich wirkte Matt auch so, doch tief in ihm spürte ich einen finsteren Ort, den er für sich behielt. Cal … Cal warf mir überrascht einen kurzen Blick zu, als mein Sinnennetz seinen Geist berührte. Als ich ihn abtastete, spürte ich plötzlich einen heißen Schwall des Verlangens und ich wurde rot und zog mich eilig zurück. Sein Blick schien zu sagen: Nun ja, du hast gefragt …
Ethan Sharp war interessant – ein buntes Mosaik aus Gedanken und Gefühlen, Misstrauen, an das er sich klammerte, Poesie und Enttäuschung. Sharon hatte eine Stille in sich, ein ruhiges Zentrum, das neu zu sein schien, und ich stieß auf eine zögerliche, halb verlegene Zärtlichkeit … für wen? Ethan?
Beth Nielson, Ravens beste Freundin, wirkte hauptsächlich gelangweilt, als wäre sie am liebsten woanders.
Die Gefühle meines besten Freundes nach Bree, Robbie Gurevitch, waren verblüffend: eine Mischung aus Zorn, Verlangen und unterdrückten Gefühlen, die sich überhaupt nicht in seinem Gesicht zeigten. Wem galten sie? Ich konnte es nicht sagen.
Doch es waren Bree und Raven, die mich
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