Das Buch der Schatten 2
falsch, es dir nicht zu sagen. Aber wir hatten unsere Gründe. Wir lieben dich und wir sind und bleiben deine Eltern.«
Ich konnte nicht länger ruhig bleiben. »Eure Gründe?«, rief ich. »Ihr hattet gute Gründe, mir die wichtigste Tatsache meines Lebens zu verschweigen? Dafür gibt es keine guten Gründe! «
»Hör auf, Morgan«, sagte Mary K. mit wackliger Stimme. »Wir sind eine Familie. Ich will, dass du meine Schwester bist.« Sie fing an zu weinen und mir schnürte sich die Kehle zu.
»Ich will auch, dass du meine Schwester bist«, sagte ich und stand auf. »Aber ich weiß nicht mehr, woran ich bin … was wahr ist und was nicht.«
Mary K. fing an zu schluchzen und warf sich an Dads Schulter.
Mom wollte zu mir kommen, um mich in die Arme
zu nehmen, doch ich wich ihr aus. In dieser Sekunde hätte ich es nicht ertragen, wenn sie mich angefasst hätte. Sie wirkte getroffen.
»Hört zu, lasst uns jetzt erst mal nichts sagen«, meinte Dad. »Wir brauchen Zeit. Wir stehen alle unter Schock. Bitte, Morgan, hör mir nur in diesem einen Punkt zu: Deine Mutter und ich haben zwei Töchter, die wir mehr lieben als alles andere auf der Welt. Zwei Töchter.«
»Mary K. ist eure Tochter«, sage ich, und es war mir verhasst, dass meine Stimme dabei brach. »Eure leibliche Tochter. Aber ich bin ein Niemand!«
»Sag das nicht!«, sagte Mom, am Boden zerstört.
»Ihr seid beide unsere Töchter«, sagte mein Vater. »Und das werdet ihr immer sein. «
Es war wohl das Tröstlichste, was er sagen konnte, und ich brach in Tränen aus. Ich war körperlich wie emotional so erschöpft, dass ich die Treppe hinauf in mein Zimmer stolperte, mich aufs Bett warf und langsam in den Schlaf sank.
Während ich zwischen Traum und Wachsein trieb, kam meine Mutter ins Zimmer und setzte sich zu mir aufs Bett. Sie strich mir übers Haar, ihre Finger fuhren behutsam durch die wirren Strähnen. Es erinnerte mich an meinen Traum, an meine andere Mutter. Vielleicht war es gar kein Traum, dachte ich. Vielleicht war es eine Erinnerung.
»Mom«, sagte ich.
»Schsch, Süße, schlaf«, flüsterte sie. »Ich wollte dir nur sagen, dass ich dich liebe und dass ich deine Mutter bin und du meine Tochter seit dem Tag, da ich dich zum ersten Mal gesehen habe.«
Ich schüttelte den Kopf, wollte protestieren, das sei nicht wahr, doch ich war dem Schlaf schon zu nah. Während ich in eine tiefe, selige Benommenheit sank, spürte ich, dass heiße Tränen in mein Kissen sickerten. Ich weiß nicht, ob es ihre Tränen waren oder meine.
Am nächsten Morgen war auf skurrile Weise alles ganz normal. Mom und Dad standen wie immer früh auf und gingen zur Arbeit, bevor ich richtig wach war. Wie immer rief Mary K., ich solle mich beeilen, und ich duschte und versuchte, mich für den Tag zu wappnen.
Mary. K.s Gesicht war blass und spitz und sie war ungewöhnlich still, während ich eine Cola light hinunterkippte und Bücher in meinen Rucksack stopfte.
»Ich will, dass du damit aufhörst«, sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstand. »Ich will, dass alles wieder so ist wie früher. «
Ich seufzte. Ich war nie neidisch auf Mary K. gewesen und hatte auch nie mit ihr konkurriert. Ich hatte mich immer um sie kümmern wollen. Ich überlegte, ob das jetzt anders sein würde. Ich hatte keine Ahnung. Aber ich wusste, dass es mir immer noch schwerfiel, mit anzusehen, wenn sie verletzt wurde.
»Dafür ist es zu spät«, sagte ich ruhig. »Ich muss die Wahrheit wissen. Es gab zu lange zu viele Geheimnisse. «
Mary K. hob die Hände, die einen Augenblick durch die Luft flatterten, während sie überlegte, was sie sagen sollte. Doch es gab nichts zu sagen und am Ende holten wir nur unsere Rucksäcke und gingen hinaus zu Das Boot.
Cal wartete an der Schule auf mich. Er kam zu meinem Auto herüber, während ich parkte, und stand bereits vor der Autotür, als ich sie öffnete. Mary K. sah ihn an, als überlegte sie, was er wohl mit der ganzen Sache zu tun hatte. Er begegnete ihrem Blick ruhig und voller Verständnis.
»Ich bin Cal«, sagte er und streckte ihr die Hand hin. »Cal Blaire. Ich glaube, wir kennen uns noch nicht.«
Mary K. sah ihn an. »Ich weiß, wer du bist«, sagte sie, ohne ihm die Hand zu schütteln. »Machst du Hexerei mit Morgan?«
»Mary K. ! «, fuhr ich auf, doch Cal hielt beschwichtigend die Hand hoch.
»Es ist okay«, sagte er. »Ja, ich mache Hexerei mit Morgan. Aber wir tun nichts Falsches.«
»Falsch für wen?« Mary K. klang älter
Weitere Kostenlose Bücher