Das Buch der Schatten 2
rief.
»Verdammt! Verdammt! Verdammt! «, brüllte ich und hämmerte mit den Fäusten auf das Lenkrad ein, bis meine Hände taub waren, bis ich sämtliche Flüche losgelassen hatte, die ich kannte, bis mein Hals rau war.
Dann legte ich mich quer über den Sitz und weinte wieder. Ich wusste nicht, wie lange ich schon dort war, in meinem Wagen im Nebel eingehüllt. Ab und zu schaltete ich die Heizung ein, um nicht zu frieren. Die Fenster beschlugen von meinen Tränen.
Ganz allmählich schwächten sich meine Schluchzer zu einem zittrigen Schluckauf und einem gelegentlichen Schaudern ab. O Cal, dachte ich. Ich brauche dich, Cal. Sobald ich das dachte, kam mir ein Vers in den Sinn: In Gedanken seh ich dich hier. In meinem Schmerz brauch ich dich sehr. Such mich, find mich, wo ich bin. Komm jetzt, komm jetzt, komm hierhin.
Ich wusste nicht, woher dieser Vers kam, doch inzwischen hatte ich mich langsam daran gewöhnt, dass mich seltsame Gedanken überkamen. Ich wurde ruhiger, als ich ihn hörte, also sagte ich ihn mir immer wieder vor. Ich schlug den Arm über meine Augen, betete verzweifelt, dass ich im Bett zu Hause aufwachen und feststellen würde, dass das Ganze nur ein Albtraum gewesen war.
Minuten später fuhr ich zusammen, als jemand auf der Beifahrerseite ans Fenster klopfte. Ich riss die Augen auf und setzte mich auf, dann wischte ich einen Fleck auf dem beschlagenen Glas frei und sah Cal, verschlafen und zerknittert und erstaunlich schön.
»Du hast mich gerufen?«, fragte er, und mein Herz füllte sich mit Sonnenschein. »Lass mich rein … es ist saukalt hier draußen.«
Es hat funktioniert, dachte ich ehrfürchtig. Ich habe ihn mit meinen Gedanken hergerufen. Magie.
Ich öffnete die Tür und rutschte rüber. Er setzte sich neben mich, und ich staunte, wie selbstverständlich es war, die Hand nach ihm auszustrecken und zu spüren, wie er den Arm um mich legte.
»Was ist los?«, fragte er, seine Stimme dumpf in meinem Haar. »Was ist passiert?« Er hielt mich von sich weg und ließ den Blick forschend über mein tränengerötetes Gesicht schweifen.
»Ich bin adoptiert! «, platzte ich heraus. »Ich habe meiner Mutter heute Morgen gesagt, dass ich eine Bluthexe bin und dass sie also auch eine sein muss, und mein Vater und meine Schwester auch. Sie haben gesagt, das sei nicht wahr. Also bin ich runtergelaufen und habe meine Geburtsurkunde rausgekramt, und da stand der Name einer fremden Frau drauf, nicht der meiner Mutter. «
Ich fing wieder an zu weinen, obwohl es mir peinlich
war, dass er mich so sah. Er zog mich an sich und hielt meinen Kopf an seiner Schulter. Es war so tröstlich, dass ich fast sofort wieder aufhörte zu schluchzen.
»Das ist nicht schön, es auf diese Weise herauszufinden. « Er küsste meine Schläfe und ein winziges erregtes Zittern wanderte meine Wirbelsäule hoch. Ein Wunder, dachte ich. Er liebt mich immer noch, selbst heute. Es war kein Traum.
Er löste sich und wir betrachteten einander im diesigen Licht. Ich kam einfach nicht darüber hinweg, wie schön er war. Seine Haut war glatt und gebräunt, selbst im November. Sein dunkles Haar fühlte sich dick an unter meinen Fingern und war mit Strähnen in warmen Walnusstönen durchsetzt. Seine Augen waren umgeben von kühnen schwarzen Wimpern, seine Iris glühten so goldbraun, dass sie förmlich Hitze auszustrahlen schienen.
Ich wurde unsicher, als ich merkte, dass er mich genauso musterte wie ich ihn. Ein winziges Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Bist wohl in Eile weg, was?«
Erst da ging mir auf, dass ich noch mein übergroßes Fußballtrikot und eine alte lange Unterhose von meinem Vater trug, samt Eingriff. Und meine Füße steckten in einem Paar großer pelziger Bärentatzen-Pantoffel. Cal langte hinunter und kitzelte die Tatzen. Ich dachte an die seidigen Dinger, die Bree zum Schlafen trug, und mit einem stechenden Schmerz, bei dem ich nach Luft
schnappen musste, fiel mir wieder ein, dass sie mir gesagt hatte, sie und Cal wären miteinander im Bett gewesen. Ich forschte in seinen Augen, überlegte, ob es stimmte, überlegte, ob ich es ertragen würde, es zu wissen.
Aber jetzt war er hier. Bei mir.
»Du bist das Beste, was ich den ganzen Morgen gesehen habe«, sagte Cal leise und streichelte meinen Arm. »Ich bin froh, dass du mich gerufen hast. Du hast mir gefehlt gestern Abend, als ich zu Hause war. «
Ich senkte den Blick, dachte daran, wie er in seinem großen, romantischen Bett lag, während sich die
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