Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
verständnislos an. Jean war plötzlich aschfahl angelaufen. Mit jedem Wort, mit jeder Zeile zitterten seine Hände mehr. Nun hatte sie ihn doch noch erreicht, die Vergangenheit. Clouds Anruf hatte er noch verdrängen können, aber das –.
„Es führt kein Weg daran vorbei“, sprach er zu sich selbst. „Ich kann sie nicht einfach im Stich lassen. Jetzt nicht mehr, jetzt nicht!“
„Von was redest du?“ wollte seine Freundin wissen. „Was ist denn in dich gefahren, Jean?“ Zögernd erhob sie sich von ihrem Platz. In solch einer Verfassung hatte sie ihn noch nie erlebt. In dem ganzen Jahr noch nicht, seit sie zusammen waren. Langsam kam sie Jean näher.
„Ich muß telefonieren“, sagte Jean auf einmal. „Ich muß sie unbedingt anrufen. Unbedingt! Wie konnte ich ihnen nur nicht glauben? Wie, verdammt noch mal! Wie?“
Petty, so hieß seine Freundin, wollte ihn vorsichtig berühren, doch noch bevor sie dazu kam, hatte Jean sich von ihr abgewandt und das Zimmer einfach verlassen. Erschrocken über diese unerwartete Abweisung stockte ihr der Atem. Innerlich bebend nahm sie die Zeitung zu sich. Auf Anhieb konnte sie nicht finden, was Jean so erschüttert haben konnte. Fiebrig begann sie jeden Artikel anzulesen. Auf einmal betrat Jean wieder das Zimmer.
„Sie sind schon weg“, hauchte er. „Ellinoy und Dumpkin. Verdammte Scheiße, wie konnte ich euch nur im Stich lassen. Ich hab unseren Schwur gebrochen. Ich, ich verdammter Idiot. Niemals kann ich das wiedergutmachen. Niemals!“ Niedergeschlagen setzte er sich auf die Eckbank, vergrub seinen Kopf in den Händen. Petty ließ sich neben ihm nieder, immer noch die Zeitung in der Hand.
„Schatz“, flüsterte sie ihm zu. „Sprich mit mir, bitte.“ Sachte legte sie einen Arm um seine Schulter. Jean registrierte es nicht.
„Was ist los mit dir“, versuchte sie es weiterhin. „So habe ich dich ja noch nie erlebt. Du machst mir angst.“
Jean hob seinen Kopf. Mit blutunterlaufenen Augen sah er auf Petty. „Ich muß gehen“, hauchte er. Kaum nur bewegten sich seine Lippen. „Petty, ich muß gehen – für immer, Petty. Für immer.“
Entgeistert sah sie ihn an. „Was redest du denn da“, kam es ängstlich aus ihr hervor.
„Zu lange liegt es zurück, Liebes“, erwiderte Jean. Krampfhaft ballte er seine Hände zu einer Faust. „Nun ist es soweit. Dieses gottverdammte Buch, es treibt ein böses Spiel. Ein Spiel, das wir verlieren werden. Verstehst du, Petty? Wir werden dieses Spiel verlieren. Es ist aus. Einfach aus!“ Jeans Körper zitterte. Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Schweiß hatte sein Hemd durchnäßt. Petty ergriff seine Hände.
„Ich versteh nicht, was du meinst, Jean. Bitte, sag es mir. Bitte, Jean. Du kannst mich doch nicht einfach im Stich lassen.“ Flehend blickte sie ihm in die Augen. Eine Träne löste sich und rollte über seine Wangen.
„Ich, ich habe es geträumt, Kleines“, stammelte er. „Ich habe diese gottverdammte Geschichte geträumt. Heute nacht, sie war da, nun wieder. Er ist es, Er – er will uns – mich.“
„Aber ich bin doch bei dir, Jean“, weinte sie. „Immer werde ich bei dir sein. Ich, ich liebe dich, Jean.“ Ihre Hände klammerten sich an ihn, als wolle sie niemals wieder von ihm lassen. Noch vor wenigen Minuten hatten sie miteinander gelacht. Spaß miteinander gehabt. Plötzlich, vollkommen unerwartet lag etwas in der Luft, das ihr den Atem raubte. Etwas Furchterregendes. Eine Ahnung, die sie pausenlos zu martern versuchte.
Langsam, sehr langsam bewegte sich Jeans Kopf hin und her. „Es ist besser, du gehst.“
Petty zuckte zusammen. Wieder und wieder verkrampfte sich ihr Magen. „Du – schickst – mich – weg?“ brachte sie nur mühevoll hervor. Ihre Finger lösten sich. „Warum?“ schluchzte sie. Mit dem Ärmel fuhr sie sich über das Gesicht.
„Laß uns ein anderes Mal darüber reden“, entgegnete Jean. „Wenn ich wieder zurück bin.“
„Ein – anderes – Mal?“ Petty bekam wieder Hoffnung. War doch nicht alles verloren?
Jean nickte. Schwer atmend stand er auf. Schwankend zwängte er sich dem Tisch entlang zur Tür. Öffnete sie.
„Leb wohl, Kleines“, flüsterte er ihr zu. „Leb wohl.“
Petty wußte nicht, was sie davon zu halten hatte. Erstarrt blickte sie auf die Tür, die sich hinter Jean wieder schloß. Minuten verstrichen. Minuten der Verzweiflung, in denen sich Tausende von Gedanken in ihr widerspiegelten. Erinnerungen. Erinnerungen mit Jean, ihrem
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