Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
Jedes Wort hatte er von dessen Lippen abgelesen – und für ernst genommen.
„Weiter“, drängte der alte Mann, als der Wirt nichts mehr sagte. Gleichzeitig streckte er ihm sein leeres Glas entgegen. Augenblicklich schenkte der Wirt nach. Mehrmals stieß er dabei mit der Flasche gegen das Glas.
„Kennst du Jancy“, fragte ihn der Wirt darauf. Der Alte schüttelte den Kopf.
„Jancy kommt auch öfters zu mir. Ein Rohbein. Wenn der zuschlägt, da wächst kein Gras mehr.“ Er nahm einen großen Schluck, tat so, als würde er seinen Mund ausspülen und ließ danach den Whisky seine Kehle hinunterlaufen. Fragend blickte ihn sein Gast dabei an. Mit Jancy konnte er nichts anfangen.
„Der hat zu dem Prediger gesagt, er soll sein Maul halten. Was dann geschah, sowas habe ich noch nie gesehen. Der Prediger starrte ihn an. Er sagte, das Böse hat viele Gesichter. Ob er sein Gesicht jedem offenbaren könnte, oder ob er jedem sofort das Maul stopfen will. Daraufhin hat er sich nur umgedreht und ist gegangen. Einfach gegangen. Unglaublich. Von Jancy hatte ich das nicht erwartet. Von dem nicht.“
„Das ist er“, zischte der alte Mann plötzlich zu sich. „Verdammt noch mal, wie alt war er, der Prediger?“ Mit zusammengekniffenen Augen musterte er den Wirt. Dieser wischte sich eben den Schweiß von der Stirn.
„Kann man schlecht sagen“, erwiderte er. „Der dichte Vollbart, auch stand ich nicht so dicht an ihm, daß ich seine Gesichtszüge hätte sehen können. Von weitem sah es aus, als wäre es voller Sommersprossen.“
Der Alte sprang hoch. „Das ist er“, entfuhr es ihm, diesesmal um vieles lauter. „Das ist der gottverdammte Hurensohn.“ Er zog eine Münze aus der Tasche und warf sie dem Wirt auf den Tisch.
„Dieser Jancy“, murmelte er. „Wie heißt der noch gleich mit dem Nachnamen?“
„McLean“, antwortete der Wirt. Abrupt wandte sich der Alte um und schritt eilig auf den Ausgang zu. Verdutzt blickte ihm der Kneipenbesitzer hinterher.
Auf direktem Weg begab sich der alte Mann in die nächstgelegene Telefonzelle. Es dauerte nicht lange, da hatte er den Namen im Verzeichnis ausfindig gemacht.
„McLean“, flüsterte er zu sich. „Jancy McLean.“ Hastig wählte er die Nummer.
„McLean“, meldete sich eine grobe Stimme.
„Der Prediger“, hauchte der Alte in die Sprechmuschel. „Ich bezahle Ihnen zehntausend Dollar.“
„Da sind Sie an der falschen Adresse“, kam es zurück. Gleichzeitig wurde der Hörer aufgehängt.
„Citystreet 21“, las der Alte die Adresse. Mit einem überlegenen Lächeln klappte er das Verzeichnis zu. So schnell er konnte verließ er die Zelle.
„Citystreet 21“, wiederholte er. Der Weg führte ihn direkt an der Kirchenmauer vorbei. Vor dem Einlaß blieb er für einen Moment stehen. Langsam wanderten seine Blicke dem Gemäuer empor.
„Bald habe ich dich“, fauchte er. Zorn spiegelte sich in seinen Augen. „Dann ist es vorbei mit dir, Hurensohn. Endgültig!“ Rasch setzte er seinen Weg fort. Wenig später stand er vor einem kleinen Haus. Citystreet 21.
„McLean“, stand auf dem Klingelschalter. Ohne Zögern drückte er drauf. Ein Poltern im Inneren des Hauses machte sich bemerkbar. Die Tür wurde geöffnet. Eine alte Frau stand ihm gegenüber.
„Was wollen Sie?“ fragte sie in einem barschen Tonfall.
„Jancy McLean“, nannte der Alte nur den Namen. Die Frau verschwand. Kurz später erschien ein großgewachsener breitschultiger Mann in der Haustür. Wütend musterte er den alten Mann.
„Jancy McLean?“ fragte der Alte. McLean nickte nur.
„Fünfzehntausend Dollar für den Prediger“, flüsterte ihm der Alte zu. McLean ballte seine Hand zu einer Faust. Noch wütender blickte er den Alten an.
„Ich gebe dir drei Sekunden, dann bist du verschwunden“, schnaubte er dem alten Mann ins Gesicht.
„Überlege es dir“, erwiderte der Alte. „Morgen um diese Zeit findest du mich vor der Kirche.“ Langsam wandte er sich um. McLean blickte ihm nach, bis er in der Dunkelheit verschwunden war.
„Scheiß auf dein Geld“, zischte er in sich hinein. Kopfschüttelnd ging er ins Haus zurück. Nachdenklich zog er seine Stiefel an, schlüpfte in die Lederjacke und verließ das Haus. Vom oberen Fenster aus wurde er beobachtet, wie er in seinen schneeweißen Cadillac einstieg. Erst als er aus den Blicken der alten Frau entschwunden war, trat sie von dem Fenster zurück.
Auf dem Parkplatz vom Mountincar stellte McLean sein Fahrzeug ab. Eben wollte
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