Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
geraumer Zeit ertönte der schrille Ton. Ellinoy packte seine Schulsachen in die Tasche. Hastig verließ er das Klassenzimmer. Der Nachmittag war unterrichtsfrei. Also genügend Zeit, sich in ihrem Lager zu verschanzen.
Dumpkin und Showy hatten es ebenso eilig, ihr Klassenzimmer zu verlassen. Im Vorraum des Schülerhauses trafen sie auf Ellinoy, der eben die Treppe heruntergelaufen kam. Zusammen begaben sie sich in den Speisesaal. Dumpkin ließ seine Blicke durch den Saal gleiten. Er suchte Melanie. Nach kurzem Suchen hatte er sie auch schon gefunden. Sie saß am anderen Ende des Saales mit dem Rücken ihm zugewandt.
„Da ist Rotschopf“, zischte ihm Showy ins Ohr. Dumpkin blickte in die angegebene Richtung. Rouven saß nicht weit weg von Melanie. Er unterhielt sich mit einem aus Ellinoys Klasse.
„Unsold“, sagte Ellinoy in einem abfälligen Tonfall. „Da haben sich ja die richtigen zwei kennengelernt.“
„Unsold?“ wiederholte Showy.
„Der ist bei mir in der Klasse“, klärte ihn Ellinoy auf. „Sitzt ganz vorn. In der ersten Reihe. Einer der alles besser weiß.“
„Der Brief ist an ihn adressiert“, sagte Dumpkin leise.
„An wen?“ schoß es wie aus einem Mund. Ellinoy und Showy starrten ihn an.
„Der Brief ist an Rotschopf adressiert. Von einem gewissen Charles Blandow. Vermutlich sein Vater.“
„Hast du ihn schon gelesen?“ Ellinoy blickte verstohlen um sich.
„Nein, dafür war noch keine Zeit.“
„Pfeifer kommt“, warnte Showy auf einmal. Er hatte Sallivan den Saaleingang betreten sehen. Ellinoy wandte sich um.
„Setzen wir uns“, schlug Ellinoy gelassen vor. „Muß nicht sein, daß er uns sieht.“ Unweit von Melanie fanden sie einen unbesetzten Tisch. An diesem ließen sie sich nieder. Dumpkin setzte sich so, daß er das Mädchen im Visier hatte. Einige Minuten verstrichen noch, bis jeder einzelne einen Platz gefunden hatte. Plötzlich wurde es still. Die Köpfe waren alle auf den Saalanfang gerichtet. Mr. Goodman, Sallivan und Pater Richmon hatten sich den Schülern entgegengestellt. Sallivan machte einen Schritt nach vorn.
„Ich bitte um äußerste Ruhe!“ rief er lauthals durch den Saal. Darauf schien es noch stiller zu werden.
„Wie ihr bestimmt alle schon mitbekommen habt, hat sich in unserem Internat ein tragischer Unfall ereignet.“ Sallivan sah von einem Tisch zum anderen. „Ein Mitschüler von euch hat bei diesem Unfall seinen rechten Ringfinger verloren.“ Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, die Stirn legte sich in Falten. „Niemand weiß etwas über diesen Unfall“, donnerte seine Stimme. „Niemand will etwas gesehen haben.“ Sein Blick blieb auf dem Tisch haften, an dem Showy, Dumpkin und Ellinoy saßen. „Selbst seine besten Freunde haben keine Ahnung, wie Arth Champ diesen tragischen Unfall erlitten hat.“ Er machte eine kurze Pause. Nicht eine Sekunde lang ließ er die Freunde aus den Augen. „Soeben komme ich von euerem Mitschüler. Gott sei Dank kann ich euch mitteilen, daß er auf dem Wege der Besserung ist. Dennoch ist er noch nicht soweit, daß er genaue Angaben über jene Nacht machen kann. Aber eines ist gewiß“, mit zugekniffenen Augen sah er über die Köpfe hinweg, „ich werde es noch herausbekommen. Koste es was es wolle.“ Abrupt wandte er sich von den Schülern ab. Zusammen mit Mr. Goodman verließ er den Speisesaal. Pater Richmon trat an seine Stelle.
„Meine lieben Schülerinnen und Schüler“, begann er seinen Vortrag. „Ich bin sehr besorgt über das Unglück, das sich vor einigen Tagen ereignet hat. Etwas Schreckliches ist geschehen. Etwas, das niemand begreifen kann, begreifen will! – Hoffnung ist das einzige, das mein trübes Herz erschwingen läßt. Hoffnung, daß dieses Unglück aufgeklärt wird. Hoffnung auch, daß sich solch ein grausames Geschehen nicht wiederholen wird.“ Für einen Moment blickte Pater Richmon auf den Boden, sah dann aber sofort wieder auf. „Nehmt euch in acht, meine lieben Kinder.“ Seine Stimme bebte ein wenig. „Das Werk der Befreiung, es kann auch ein Werk der Zerstörung, ein Werk des Unheiles sich daraus entpuppen.“ Er bekreuzigte sich mit der rechten Hand. Langsam drehte Richmon sich dem Ausgang zu. Seine Arme verschränkt verließ er ebenfalls den Saal. Unverständliche Blicke verfolgten den Pater. Lediglich Ellinoy, Showy und Dumpkin wußten nur zu gut, was der Pater damit gemeint hatte. Stillschweigend blickten sie sich gegenseitig an.
Gedämpfte Stimmung herrschte im
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