Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
Saal. Niemand wollte so richtig reden. Zu sehr waren sie mit ihren Gedanken beschäftigt. Dumpkin warf in regelmäßigen Abständen immer wieder einen Blick zu Melanie. Bisher hatte sich noch keine günstige Gelegenheit ergeben, sie anzusprechen.
Keiner von den drei Freunden bemerkte, daß sie beobachtet wurden. Rouven blickte hin und wieder zu ihnen herüber, wobei es mehr zufällig als bewußt aussah.
Das Mittagessen ging schnell vorbei. Ellinoy war mit seinen Freunden einer der ersten, die den Saal verließen. Auf direktem Weg steuerten sie auf die Pforte des Internates zu.
„Der Pater weiß etwas“, sagte Dumpkin mit verhaltener Stimme. „Er weiß mehr, als wir vielleicht ahnen.“
„Mir ist er nicht mehr geheuer“, erwiderte Ellinoy. Blitzartig sprang er zwischen den zwei Büschen hindurch. Der unscheinbare Pfad, der zu ihrem Schlupfwinkel führte, lag vor ihnen. Erst als sie einige Meter in den Wald eingedrungen waren, sprach Ellinoy weiter.
„Wenn wir zurückkommen, sehen wir uns mal die Stelle vor dem Lehrerhaus an“, meinte er nachdenklich. „Es müßte doch etwas zu sehen sein.“
„Daran habe ich auch schon gedacht“, entgegnete Dumpkin. „Wenn ich mir vorstelle, was Champy mitgemacht hat, könnte mir echt übel dabei werden.“
„Ich habe seither kein Auge mehr zugetan“, meldete sich Showy. Seine Stimme klang deprimiert. „Und ich Idiot bin eingeschlafen. Vielleicht wäre gar nichts passiert, wenn ich nicht gepennt hätte.“
„Mach dir jetzt deswegen keine Vorwürfe, Showy“, versuchte Dumpkin ihn zu beruhigen. „Hättest du nicht geschlafen, womöglich hätte es dich auch noch erwischt.“
„Möchte bloß wissen, was das war, das Champy so zugerichtet hat.“
„Der Brief!“ zischte Ellinoy. „Dieser verdammte Brief ist daran schuld.“
„Dazu ist er auch noch für Rotschopf bestimmt“, fauchte Dumpkin. „Für mich hat er mitschuld an Champys Schicksal.“
Rasch durchquerten sie den dichten Wald. Die Neugierde trieb sie vorwärts, machte sie aber auch leichtsinnig. Sie hatten den Wald gerade erst betreten, da durchbrach noch jemand das Dickicht. In sicherem Abstand wurden sie von einer hageren Gestalt verfolgt. Der Fremde war gekleidet in einen alten braunen Mantel, dessen Kragen er weit in das Gesicht gezogen hatte. Ein Hut in derselben Farbe bedeckte das Haupt, so daß nur noch die Augen zu sehen waren. Das rechte Bein war steif. Mühevoll schleifte er es hinterher.
An der Grenze des Sperrgebietes hielt Ellinoy an. Der tiefe Graben lag vor ihnen. Showy war es, als hätte er das Brechen eines Astes hinter sich gehört. Erschrocken fuhr er herum. Angestrengt versuchte er das Unterholz zu durchdringen. Nichts Auffälliges war zu sehen. Ellinoy kletterte den Graben hinunter. Dumpkin folgte an zweiter Stelle. Showy mußte sich mächtig anstrengen, um nicht wieder den Abhang hinabzufallen. Ellinoy hatte schon die andere Seite erklommen, da gelangte Showy erst auf den Boden des Grabens. Gemeinsam mit Dumpkin zogen sie Showy auf der anderen Seite hinauf. Unvermindert gingen sie weiter. Plötzlich vernahm Showy wieder dieses Geräusch. Wiederum wandte er sich um. Er blickte über den Graben hinweg auf die andere Seite. Nichts. Nicht das Geringste konnte er bemerken. Mit der Ansicht, sich vielleicht doch geirrt zu haben, folgte er nachdenklich den Voranschreitenden. Kaum hatte er sich dem Pfad zugewandt, trat dieser Fremde durch das Unterholz an den Rand des Grabens. Finsteren Blickes musterte er das Hindernis.
Behutsam, ja keine Geräusche verursachend, öffnete Showy das Lager. Mit derselben Sorgfalt zog er das Dornengestrüpp in die übliche Stellung zurück. Ellinoy blickte Showy verwundert an.
„Stimmt etwas nicht?“ fragte er ihn.
„Mir war, als hätte ich vorhin Geräusche hinter uns gehört“, erklärte er sein vorsichtiges Verhalten. Dabei sprach er überaus leise. Ellinoy mußte sich anstrengen, um ihn genau verstehen zu können.
„Bist du dir sicher?“ erschrak Ellinoy.
„Ich kann mich auch geirrt haben“, meinte Showy. „Gesehen habe ich nichts.“
„Wir hätten vorsichtiger sein sollen“, sagte Dumpkin. „Solange wir hier sind, kann uns nichts passieren. Ich glaube nicht, daß uns hier jemand findet.“ Dumpkin holte den Brief aus seiner Hosentasche. Sorgfältig glättete er das zerknitterte Kuvert.
„Charles Blandow“, las er leise vor. „Wegen diesem Brief kann Champy jetzt nicht bei uns sein.“ Zornig blitzten seine Augen auf. „Wer
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