Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
soeben erhoffte Glücksgefühl war schlagartig wieder zerronnen. Mißmutig verließ er ebenfalls seinen Platz. Seine Freunde folgten dicht hinter ihm. Verzweifelt versuchte Dumpkin Melanie wieder zu finden. Sie war weg. Plötzlich verschwunden.
Schwester Maria bildete den Schluß der Trauergesellschaft. Rouven ging neben ihr her. Fest hielt er ihre Hand umschlossen. Direkt vor ihm befanden sie sich, die Unzertrennbaren . Rouven war es gleichgültig. Sie hatten es ja nicht mehr, das Buch.
*
„Verdammt noch mal“, flüsterte Dumpkin seinem Freund zu. Soeben hatten sie das von Efeu bewachsene Eisentor durchquert. Er hielt sich dicht an Ellinoy, damit seine Worte nicht von Unerwünschten gehört werden konnten. Das Knirschen des Kieses war ihm dabei sehr behilflich. Verstohlen blickte er um sich. Schwester Maria und Rouven waren einige Meter hinter ihnen. Showy und Champy befanden sich vor ihnen. „Ich brauch Gewißheit“, zischte er. „Ich muß wissen, ob es noch da ist. Ich muß es wissen!“ Melanie versuchte er vorerst zu verdrängen. Nur noch das Buch beschäftigte ihn. Nur noch das Buch und das Fehlen von Sallivan.
„Sobald es geht, kapseln wir uns ab“, raunte Ellinoy zurück, der sich ständig umblickte. Überall sah er es, das Gesicht. Es war wieder da. Es ließ ihn nicht mehr loß. Es hatte sich eingefressen in seinen Gedanken. Tief saß es drin und zeigte sich ihm wieder und wieder.
„Scheiße!“ fluchte er in sich hinein. „Gottverdammte Scheiße. Verschwinde aus mir! Du sollst verschwinden.“
Dumpkin sah ihn verwundert an. Die letzten Worte hatte Ellinoy etwas zu laut gesprochen. „Was ist mit dir?“ fragte er ihn besorgt. Ellinoys Backenknochen zeichneten sich messerscharf in dessen Gesichtszügen ab, so sehr biß er die Zähne zusammen.
„Es ist wieder da“, stieß er aus. „Dieses Gesicht, es ist wieder da. Ich seh’ es deutlich vor mir.“ Er packte Dumpkin am Arm. Fest schlossen sich seine Finger um dessen Handgelenk. Deutlich verspürte Dumpkin das Zittern in Ellinoys Finger. „Sag mir, was das ist“, hauchte Ellinoy. „Sag mir, was es von mir will. Sag es mir!“ Mit gläsernen Augen starrte er auf Dumpkin. Angst! Ellinoy hatte Angst.
Dumpkin sah seinen Freund eindringlich an. „Wir müssen es vernichten“, sagte er fest entschlossen. „Wir müssen es. Es gibt keinen anderen Ausweg.“
Ellinoy nickte. Kein Muskel verzog sich in seinem Gesicht. Haß, abtrünniger Haß, war das einzige, das Ellinoy momentan empfand.
Seine Finger lösten sich. „Es muß bald geschehen. Sehr bald!“
Ellinoy war so sehr in seinen Regungen vertieft, daß er nicht bemerkt hatte, wie Champy schon einige Zeit neben ihm herschritt. Trotz seiner dunklen Hautfarbe war es nicht zu übersehen, daß sein Gesicht kalkweiß angelaufen war. Champy wollte etwas sagen. Im selben Augenblick stoppte der Trauerzug vor ihnen.
„Was ist jetzt?“ fragte Dumpkin mehr sich selbst. Neugierig versuchte er über die Köpfe hinwegzublicken. Vergebens. Auch ein Vorbeischauen war unmöglich. Keine halbe Minute war vergangen, da ging es weiter. Langsam, Schritt für Schritt. Nicht mehr weit befanden sie sich vom Friedhof entfernt. Ein Halbkreis wurde vor dem Tor gebildet. Dies war der Grund für das kurze Halten. Pater Richmon stand vor dem Eingang. Neben ihm Mr. Goodman. Dieser hielt eine Schaufel in der Hand, mit der er sich auf dem Boden abstützte.
Nachdem die Schüler zusammengerückt waren und jeder einigermaßen Blick auf den Pater bekam, kehrte wieder Ruhe ein.
Rouven war die vorübergehende Veränderung von Ellinoy nicht entgangen. Genausowenig entging ihm nicht die Verfassung von Champy, der ständig von einer Richtung in die andere blickte. Nur Showy verhielt sich sonderbar still. Regungslos stand er neben Dumpkin und starrte auf Goodman.
Richmon faltete seine Hände zusammen. Durch ein andeutendes Nicken forderte er die Schüler auf, dasselbe zu tun. Schweigsame Minuten verstrichen. Hin und wieder das Gezwitscher eines Vogels, der die andächtige Stille unterbrach.
Mr. Goodman verschwand hinter dem Tor, als Richmon zu reden begann.
„Meine lieben Schülerinnen und Schüler“, rief er den Kindern entgegen. Seine Stimme brach sich in den Bäumen wider und hallte mehrmals durch den Wald. „Ich bitte euch, nicht das Innere des Friedhofes zu betreten. Ich bitte euch, sprechet ein Gebet für Jeremie. Gedenket seiner, solange Mr. Goodman und ich Jeremie beerdigen werden. Gedenket seiner Seele, damit
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