Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
aber Zeit für euch“, sagte er darauf. „Ihr solltet nun wieder zurückgehen. Glaubt mir, und wartet mit eurem Spaziergang, bis die Trauertage vorüber sind. Du tust dir nur einen Gefallen damit, Cloud. Vergiß nicht, daß deine Hand verletzt ist.“ Geduldig wartete Richmon darauf, was die beiden Freunde nun unternehmen würden. Sie taten aber nichts. Regungslos blieben sie stehen und starrten auf den Boden.
„Wenn ihr wollt, begleite ich euch bis zur Tür“, schlug Pater Richmon vor. Ellinoy erhob seinen Kopf. Fragend musterte er Dumpkin. Dieser sah ihn an. Unmerklich zwinkerte Dumpkin mit dem rechten Auge. Über Ellinoys Gesicht flog ein freudiger Strahl.
„Meinetwegen“, brummte er wie gelangweilt in sich hinein. Etwas mißmutig schlüpften sie in ihre Schuhe, was Richmon mit nicht geringer Genugtuung verfolgte. Wenig später schritten sie nebeneinander über den Hof. Hinter dem unbeleuchteten Fenster des Rektorates entfernte sich eine Gestalt. Mr. Goodman, der sie die gesamte Zeit über schon beobachtete. Auch schon, als Ellinoy und Dumpkin über den Hof geschlichen kamen, denen der Pater einige Minuten vorausgegangen war. Keine Minute verging, da wurde die Eingangstür geöffnet. Mr. Goodman verließ das Gebäude. In sicherem Abstand folgte er den dreien. Lautlos. Seine Schritte waren nicht zu hören.
Als sie die Kirche erreicht hatten, blieb Richmon am Hintereingang der Kathedrale stehen.
„Ich vertraue euch“, flüsterte er ihnen zu und legte seine Hand an die Holztür. Verwundert blickten sie ihn an.
„Euer Unterricht geht morgen wie gewohnt weiter. Vergeßt nicht, warum ihr hier, hier in diesem Internat seid. Vergeßt das nicht.“ Richmon begann zu lächeln. Das Weiß seiner Zähne blitzte ihnen entgegen. „Und vergeßt nicht das Versprechen, das ihr mir gegeben habt. Alle vier, auf euer Leben. Vergeßt auch dieses nicht.“ Abrupt öffnete Richmon die Tür und verschwand im Inneren der Kirche. Betroffen über das Gesagte schauten sie einander fragend an.
„Das Versprechen“, wiederholte Ellinoy. „Ich möchte wissen, was er damit bezwecken will.“
Dumpkin zuckte mit der Schulter. „Es stimmt also doch“, sagte er zu sich selbst.
„Was meinst du?“
„Es stimmt doch, das mit Sallivan. Melanie hatte es mir auch erzählt. Sie weiß es vom Mathelehrer. Nur hat der ihr gesagt, daß Sallivan entlassen worden ist. Entlassen, verstehst du? Entlassen!“
„Du meinst, Sallivan ist nicht tot?“
Dumpkin schüttelte nur mit dem Kopf.
„Und der Traum?“ Ellinoy legte seine Hand auf Dumpkins Schulter. „Wir hatten alle denselben Traum.“
„Der Traum“, meinte Dumpkin nachdenklich. „Bestimmt hatte er nur die Bedeutung, daß Sallivan verschwinden wird. Das Buch hat es getan. Das Buch war es, das Mr. Goodman Sallivan entlassen ließ. Das Buch ist auf unserer Seite. Der Traum war bestimmt so eine Art Botschaft.“
„Aber – dir ist doch auch aufgefallen, daß das Grab –“
„Verstehst du denn nicht?“ unterbrach ihn Dumpkin. „Es paßt zusammen. Sallivan war bei uns, kurz bevor er gegangen ist. Wir haben ihn doch alle gesehen. Nun ist er fort, endlich fort!“
„Und die Gestalt? Dieses abscheuliche Gesicht? Mit eigenen Augen haben wir gesehen, wie Sallivan aus dem Tor geschleudert wurde. Er wurde hinausgeschleudert, Dumpkin. Wie erklärst du dir das?“ Ellinoy blickte ängstlich um sich.
„Ich bin mir sicher, daß das Buch etwas damit zu tun hat“, versuchte Dumpkin es zu erklären. „Am liebsten würde ich umdrehen, um es zu holen. Ich glaube, das Buch hat etwas mit diesen unerklärlichen Dingen zu tun, von denen Pater Richmon gesprochen hatte.“
„Laß uns warten, bis morgen, wenn es hell ist“, meinte Ellinoy eindringlich. „Wenn das stimmt, was der Pater erzählt hat, dann sollten wir besser auf ihn hören.“
„Auf einmal?“ erwiderte Dumpkin. Beinah ärgerlich sah er auf seinen Freund.
„Ich hab ein scheißungutes Gefühl in mir.“ Immer noch spähte Ellinoy hin und her. „Mir ist, als würden wir die ganze Zeit schon beobachtet.“
Nachdenklich blickte Dumpkin vor sich hin. Diese Ungewißheit, ob das Buch noch da ist, ließ nicht von ihm los. „Und wenn Sallivan es mit hat?“ fragte er nach einer Weile.
„Dann – ich weiß auch nicht“, entgegnete Ellinoy.
„Das Buch, es gehört uns!“ zischte Dumpkin. „Uns, und niemand anderem. Wir haben es gefunden. Wir! Und wenn es uns einer streitig machen will, dem –“, unmißverständlich fuhr
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