Das Buch der Schatten: Roman (German Edition)
er sich mit dem Finger an der Kehle entlang. Verbissen wandte er sich von Ellinoy ab und schlug die Richtung des Schülerhauses ein. Ellinoy folgte ihm. Mit wenigen Schritten hatte er seinen Freund eingeholt. Kaum waren sie verschwunden, tauchte Mr. Goodman hinter der Kirchenmauer hervor. Unmerklich hatte er sich der nächtlichen Gesellschaft genähert und jedes Wort, das gesprochen wurde, erlauscht.
„Ihr habt es also, dieses verfluchte Buch“, zischte Goodman. Lange blickte er ihnen hinterher. Erst als er das leise Klicken der Eingangstür des Schülerhauses vernahm, machte er kehrt und begab sich wieder in das Lehrerhaus zurück. Im Dunkeln stieg er die Treppe hinauf. Auch als er sein Zimmer betrat, zog er es vor, im Dunkeln zu bleiben. Schwerfällig ließ er sich in seinen Sessel fallen.
„Dieses verdammte Buch“, hauchte er vor sich hin. Krampfhaft rieb er mit der einen Hand seine Augen, mit der anderen klammerte er sich an seinem Schreibtisch fest. „Dieses gottverdammte Buch! Ich muß es vernichten, bevor noch mehr Unheil geschieht.“ Verbittert starrte er auf das Fenster. „Warum habe ich dich nicht fortgeschickt, Blandow? Warum? Verdammt noch mal, warum?“ Wütend schlug er mit der Faust auf den Tisch. „Du kleiner roter Teufel! Deinetwegen ist er wieder hier! Nur deinetwegen! Ich laß mir mein Geschäft nicht ruinieren. Nicht von dir!“ Hysterisch sprang Goodman auf. Zitternd stützte er sich auf der Tischplatte ab. „Du und das Buch“, keifte er. „Mein Geschäft tötet ihr nicht. Vorher bringe ich dich um, Rouven Blandow! Und das Buch, dieses gottverdammte Buch! Ich muß es vernichten. Ich muß, bevor es zu spät ist.“ Erschöpft ließ er sich wieder in den Sessel zurückfallen. „Mein Gott“, stöhnte Goodman. Sein Atem ging schwer, unregelmäßig. „Warum ist es nur soweit gekommen? Warum?“ Unruhig stand Goodman wieder auf. Schlurfend begab er sich auf das Fenster zu. „Pontakus“, gab er nur noch flüsterternd von sich. „Nun weiß ich, wo das Buch zu finden ist. Ich werde es vernichten, das schwöre ich dir. Das Buch und – den Jungen.“ Nahezu traurig senkte er seinen Kopf.
„Ha ha ha“, lachte plötzlich jemand hinter ihm. „Du Narr!“ zischte es darauf. Goodman zuckte zusammen. Eiskalt lief es ihm über den Rücken. Langsam, sehr langsam versuchte er sich umzudrehen. Seine Glieder versagten. Wie erstarrt blieb Goodman stehen.
„Janosh, Janosh Goodman“, wurde sein Name geflüstert. „Du bist derselbe Narr, wie er es ist.“
Goodman zuckte nochmals zusammen. „Wer – spricht da?“ stammelte er. Mit einem Ruck wandte Goodman sich vollends um. Jedoch konnte er nichts erkennen. Dafür war es zu finster.
„Pontakus denkt, sein Werk fortsetzen zu können“, flüsterte die Stimme weiter. „Die Welt will er retten. Aber daraus wird nichts! Das Buch, Janosh Goodman – du wirst es mir besorgen. Der Pater hat es in seinem Besitz. Der Pater. Ich, so wahr ich Bifezius heiße, befehle dir, ich befehle dir!“
Goodman starrte in das Schwarze vor ihm. Verzweifelt versuchte er es zu durchdringen. Seine Augen waren nicht mehr die besten. Das Alter hatte längst schon an seiner Sehkraft genagt.
„Ich gebe dir genau einen Tag, Janosh. Genau einen Tag. Und versuche nicht, mich zu betrügen. Das wäre das Ende deines – Geschäftes. Das Ende, verstehst du?“
Mit einem Male wurde die Tür geöffnet. Schritte entfernten sich. Ein Bein schien verletzt zu sein. Es wurde nur hinterhergeschleift. Sekunden darauf wurde die Eingangstür geöffnet. Goodman stürzte zum Fenster. Eine Gestalt trat in den Schein des Mondes.
Mit offenem Mund starrte Goodman darauf. Mit offenem Mund. Nur ein kurzes abgehacktes Röcheln drang aus ihm hervor. Noch niemals hatte er so etwas gesehen. Nicht einmal seine schlimmsten Alpträume konnten das widerspiegeln, was er dort, dort unten auf dem Hof, in seinem Internat zu sehen bekam. Schleppend bewegte es sich vorwärts, diese abscheuliche Geschöpf, das noch vor wenigen Minuten mit ihm gesprochen hatte. Deutlich konnte er ihn erkennen, den kahlen rötlichen Schädel, die fleischigen Arme mit den reißenden Fingernägeln daran. Goodman schwankte. Er löste sich von dem Fenster. Seine Hände zitterten, als er nach der Schreibtischlampe griff. Hastig suchte er nach dem Schalter, bis er ihn nach geraumer Zeit erst in die Finger bekam. Ängstlich blickte er in seinem Zimmer umher. Die Tür stand noch offen. Mit wenigen Schritten befand er sich bei ihr.
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