Das Buch der Sünden
die Klinge geschärft und mit einem Griff aus Eibenholz versehen. Das Schwert lag dem jungen Schmied gut in der Hand, so gut, dass er nun meinte, es zum ersten Mal einem anderen Menschen zeigen zu können.
Er rief nach seiner Mutter.
Gullweig schlug beim Anblick des Schwertes ihre Hände vors Gesicht.
«Mutter, du bist ja kreidebleich», sagte Helgi lachend.
Gullweig wischte sich mit dem Zipfel ihrer Schürze den Mehlstaub, den sie an den Händen gehabt hatte, und eine Träne aus dem Gesicht. «Es ist wunderbar geworden», flüsterte sie.
Helgi hielt die Klinge in die Höhe, sodass sie blitzte und funkelte. «Hart und elastisch, scharf und nicht zu schwer», rief er stolz.
«Es ist ebenso prächtig wie eines jener Schwerter, die Odin nach Asgard hat bringen lassen und in deren Glanz Asgards Trinkhalle heller erstrahlte als durch jedes Feuer», schwärmte Gullweig.
«Ja, Mutter! Dieses Schwert wird in Hovis Haus leuchten. Gizur wird vor Neid erblassen. Ich bin gespannt, was für eine jämmerliche Klinge der Kryppa gemacht hat.»
Gullweig runzelte die Stirn. «Zum Triumphieren ist es zu früh. Gizur ist ein sehr guter Schmied.»
«Ach was! Der Kryppa kann Nieten und Nägel herstellen. Aber er hat niemals einen Lehrer wie Einar gehabt.»
Nach einer Weile klopfte es an der Haustür. Es waren die Nachbarn, ein gutes Dutzend Frauen und Männer, die alle gekommen waren, um das Schwert zu begutachten.
«Wir haben kein Hämmern mehr gehört. Bist du etwa fertig?», fragte Bera Glerpæla und drängte in die Schmiede.
«Seht nur!», rief Aslak der Bootsbauer, der gleich hinter ihr hereinkam. «Der Junge hält das Schwert in der Hand.»
Sofort wurde Helgi umringt. Die Nachbarn klopften ihm auf die Schultern und murmelten anerkennende Worte.
Björn Fiskari bat als Erster, das Schwert einmal selbst in die Hand nehmen zu dürfen. Er führte es hin und her, prüfte die Schärfe mit dem Daumennagel. Es hatte den Anschein, als wolle er sich gar nicht mehr davon trennen, bis Aslak das Schwert forderte. Nachdem es reihum gegangen war und jeder lobende Worte gefunden hatte, gelangte es wieder zu Helgi. Er schob es in eine hölzerne Scheide, wo es bis zum morgigen Tage bleiben sollte.
«Wir haben gehört, wie du Tag und Nacht gearbeitet hast, Helgi. Du wirst sicher hungrig sein. Deshalb haben wir einige Sachen mitgebracht», sagte Bera und zeigte einen Weidenkorb vor. Darin lagen allerlei Lebensmittel: helles Weizenbrot, Ziegenkäse, frisch gepflückte Beeren und gekochte Eier.
«Und schau dir mal diesen Burschen an», rief Björn. In der Rechten hielt er einen geräucherten Aal in die Höhe, der beinahe so lang und dick war wie sein Arm. «Den hatte ich gestern am Haken. Einen Lebenswillen hatte der, das kann ich dir sagen! Der hat noch im Räucherofen gezappelt.»
«Macht mal Platz», rief Hrolf, der Glasperlenmacher und Beras Mann, als er ein Fass durch die Tür rollen wollte.
Bera wollte Hrolf aufhalten. «Der Junge kann kein Bier trinken, wenn er morgen …»
«Aber natürlich kann er das!», entgegnete Hrolf. «Ein Becher Bier hat noch niemandem geschadet!»
Der Meinung waren auch alle anderen. Man bat Gullweig, Trinkgefäße zu holen. Hrolf, den gefüllten Bierbecher bereits erhoben, sprach daraufhin aus, was einst Odin den Menschen geraten hatte: «Lang zum Bechernur, doch leer ihn mit Maß, sprich gut oder schweig. Niemand wird dein Benehmen tadeln, wenn du früh zur Ruhe fährst.»
Bera stemmte die Fäuste in die Hüften. «Wenn’s denn dabei bliebe, Mann. Du findest doch keine Ruhe, ehe das Fass bis auf den Boden geleert ist.»
Hrolf verdrehte die Augen und murmelte: «Der schwatzt zu viel, der nimmer schweigt. Eitel unnützer Worte. Die zappelnde Zunge, die man im Zaum nicht hält, ergellt sich selten Gutes.»
Daraufhin leerte der Glasperlenmacher unter schallendem Gelächter das Bier in einem Zug. Da ließ sich auch Bera von der guten Laune anstecken und griff zu.
«Du musst den Wettbewerb unbedingt gewinnen», sagte Aslak zu Helgi.
«Ich habe das Schwert gefertigt, so gut es eben ging», erwiderte Helgi, der nur dann und wann von seinem Bier nippte, um einen klaren Kopf zu behalten. «Beim Wettbewerb sind wir Schmiede jedoch nur Zuschauer, weil andere Männer die Waffen prüfen und in verschiedenen Disziplinen gegeneinander ausspielen werden – bis nur noch ein Schwert übrig bleibt.»
«Na und?», sagte Aslak. «Dein Schwert ist unbesiegbar. Wer seinen Gegner damit nicht schlägt, der ist
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