Das Buch der Sünden
Helgis Leben abhing.
«Ich … ich liebe ihn nicht», flüsterte Teška.
«Ich kann dich nicht verstehen.»
«Ich liebe ihn nicht!», stieß Teška hervor, und ihre Stimme hallte durch den Saal. «Er ist doch nur ein … Freund.»
Tetĕslavs rechte Hand, mit er das Hanfseil spannte, zuckte, als er die Sehne losließ. Gleichzeitig machte er mit der linken Bogenhand eine kaum merkliche Bewegung nach oben. Teška stieß einen Angstschrei aus. Aber der Pfeil schoss knapp über Helgi hinweg und bohrte sich hinter ihm in die Wand.
Tetĕslav wandte sich ihr wieder zu.
«Bitte verschone ihn», flehte sie. «Er hat mich zu dir zurückgebracht. Ohne ihn …»
In dem Moment trat der Krieger erneut gegen Helgis Kopf. Sein schmerzverzerrtes Stöhnen zerriss Teška das Herz. Immer wieder wurde er von dem Stiefel getroffen.
Teška musste etwas tun, irgendetwas. Sie musste ihn retten!
In dem Moment hob Tetĕslav mit einer herrischen Geste die Hand, um dem Krieger Einhalt zu gebieten. Helgis Gesicht war über und über mit Blut verschmiert.
Tetĕslav schaute auf Teška herab. Seine Miene war so undurchdringlich wie ein Fels. Dann sagte er: «Ich werde dein Angebot überdenken.»
15.
Die erste Nacht auf Rujana verging, und es wurde Tag.
In dünnen Streifen sickerte das Sonnenlicht durch die undichten Wände in Dameks Hütte. Helgi hockte am Boden, mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Er hatte dieganze Nacht kein Auge zugetan, hatte stattdessen gegrübelt und gegrübelt, während sein Gesicht schmerzte, als wäre er von einem Pferd getreten worden, auch wenn die Wunden längst nicht mehr bluteten.
Damek und Ansgar waren, bald nachdem die Krieger sie in die Hütte geschleppt hatten, eingeschlafen. Auch jetzt, am frühen Morgen noch, erfüllten ihre Schnarchgeräusche das Innere der Hütte.
Sie waren Tetĕslavs Gefangene. Für die Bewachung von Dameks Hütte hatte der Wojwode zwei seiner Männer abgestellt, die vor der Tür saßen und sich an einem Feuer wärmten.
Verzweiflung überkam Helgi, als er an die Ereignisse der Nacht dachte. Er fragte sich zum wiederholten Male, wie er sich so hatte täuschen können: Erst hatte er den Eindruck gehabt, Teška würde diesen Tetĕslav hassen – und doch war sie bei dem Kerl geblieben.
Du musst mir vertrauen. Ich liebe dich!
Helgi schüttelte sich, als er sich ihre Worte ins Gedächtnis rief, die sie ihm am Strand von Hedinsey zugeflüstert hatte, bevor sie sich geliebt hatten.
Ihre Worte hatten ehrlich geklungen. Aber wie sollte er ihr noch vertrauen? Sie hatte sich von Tetĕslav umarmen lassen. Oder hatte sie sich ihm nicht vielmehr selbst an die Brust geworfen? Helgi hatte doch genau gesehen, wie sie vor Wonne ihre Augen geschlossen hatte, während dieser aufgeblasene Jäger mit den lächerlichen Tauben am Gürtel sie küsste.
Sie hatte es genossen. O ja!
Teška war eine Verräterin. Einen anderen Schluss ließ ihr Verhalten nicht zu, und die bittere Erkenntnis darüber brach Helgi das Herz.
Er zog das Lederband mit dem Ring unter seinem Hemd hervor und drehte ihn zwischen seinen Fingern.
Für Teška hatte er seinen Vater ins Verderben ziehen lassen, hatte ihretwegen dessen Tod mit verschuldet. Er hatte sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt und sie aus Gizurs Gewalt befreit. Er hatte sich selbst zu einem Geächteten seines Volkes gemacht, hatte seine Heimat verlassen und das Andenken seiner Eltern beschmutzt. Er war ihnen ein schlechter Sohn gewesen. Hätte er doch auf Gullweigs Worte gehört, damals, und sich ein anderes Mädchen genommen.
Helgi hörte das Klackern von Krallen, als ein Vogel auf dem Dachfirst landete und darauf herumspazierte. Vielleicht war es einer von Odins Raben, Hugin oder Munin, die dem Allvater von Helgis Versagen berichteten …
Er hängte sich das Lederband wieder um den Hals und verbarg den Ring unter dem Hemd.
In dem Moment grunzte Damek und setzte sich auf. Seine Hand fuhr über sein Gesicht. Er schnaufte wie ein Wildschwein. Am frühen Morgen und im Zwielicht betrachtet sah er alt aus. Helgi schätzte ihn auf vierzig, vielleicht sogar fünfundvierzig.
Der Zauberer erhob sich und schleppte den Eimer, in dem sie nachts ihre Notdurft verrichtet hatten, zum Fenster neben der Tür. Er klappte den Laden auf und spähte hinaus. Dann schüttete er mit einem Schwung den Inhalt des Eimers durch das Fenster. Draußen erhoben sich wütende Stimmen.
Grinsend schloss Damek den Fensterladen wieder.
«Warum hast du den Wachen den Mist
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