Das Buch der Sünden
setzte die Klinge an und schnitt die Strähnen ab.Das Messer ging schwerer durch sie hindurch, als er angenommen hatte. Dann stand er auf, drehte Žiliška auf den Rücken und hielt ihr das abgeschnittene Haar vor die Augen.
«Ich werde dir den Schädel rasieren und dein ganzes Haar verbrennen», zischte er drohend. «Oder redest du jetzt?»
Bevor die Sklavin übersetzen konnte, nickte die junge Frau stumpf. Daraufhin zog Odo sie unsanft hoch und schleuderte sie gegen die Wand. Es gab einen dumpfen Aufprall, und sie rutschte kraftlos neben der schluchzenden Sklavin zu Boden. Odo trat vor die junge Frau, nahm ihr das Lederband ab und steckte den Ring unter seine Kutte.
Žiliškas Haarsträhnen ließ er achtlos ins Feuer fallen.
6.
Noch vor dem Morgengrauen verließ Odo das Gemeindehaus und nahm den Waldweg nach Haithabu. Rings um ihn herum begann sich die Natur zu regen. Mäuse und andere Kleintiere raschelten durchs Unterholz, von den Bäumen rieselte goldenes Herbstlaub herab. Eine Schar Möwen kreischte am wolkenverhangenen Himmel. Es würde ein grauer Tag werden. Die Kälte kroch unangenehm feucht unter Odos Kutte. Er bedeckte seinen Kopf mit der Kapuze und beschleunigte seinen Gang.
Die Gassen von Haithabu waren noch menschenleer. Ohne jemandem zu begegnen, erreichte er den Hafen, dessen Landebrücken nahezu verwaist waren, nachdem die meisten Handelsschiffe bereits gestern wieder abgelegthatten. Nur hier und da dümpelten Fischerkähne in den Wellen des auffrischenden Windes. Alle größeren Boote, die Bewohnern der Stadt gehörten, hatte man schon vor Tagen ans Ufer gebracht und zu den inzwischen fertiggestellten Langschiffen von Hovis Flotte gelegt.
Als Odo seinen Blick über das Hafenbecken schweifen ließ, bemerkte er in einiger Entfernung einige Männer. Sie waren damit beschäftigt, eine aufs Land gezogene Knörr mit Segeltüchern abzudecken, um das Schiff winterfest zu machen.
Odo näherte sich den Männern. «Ich bin auf der Suche nach einem Schiff, das nach Osten fährt», rief er.
Einer der Männer, wohl der Schiffsführer, sprang vom Deck herunter, baute sich breitbeinig vor Odo auf und musterte ihn abschätzig.
«Da kommst du einige Tage zu spät, Munki.»
Odo zog die Geldbörse des Sarazenen hervor und ließ die Münzen klimpern.
«Ich bezahle jeden, der mir weiterhelfen kann, sehr gut.»
Der Schiffsführer zuckte mit den Schultern. «Der Herbst ist angebrochen, Kuttenträger. Bald ziehen die ersten Stürme auf. Nur Lebensmüde und Verrückte wagen sich jetzt noch aufs Meer.»
Doch Odo wollte sich noch nicht geschlagen geben. «Wenn ihr mich nach Osten bringt, entlohne ich euch mit sechzig Münzen und mit einem Kreuz aus reinem Silber. Ihr könnt alles unter euch aufteilen, wie es euch beliebt.»
Der Mann schüttelte den Kopf. «Nicht einmal für die dreifache Summe würde ich mein Schiff und mein Leben aufs Spiel setzen. Aber du kannst mich gern im nächsten Frühjahr wieder fragen.»
Als er zu seinem Schiff zurückging, blieb er noch einmal stehen und rief: «Warum fragst du nicht unseren Jarl Hovi? Der braucht im Moment jede Münze, die er kriegen kann. Vielleicht bemannt er eines seiner Drachenschiffe und fährt dich dorthin, wo du hinwillst.»
Odo drehte sich zu der Kriegsflotte um. Sie bestand lediglich aus sechs Schiffen, die zwischen fünfzig und einhundert Fuß lang waren. Drei davon waren kleinere Schiffe, die man
snekkja
nannte und die mit jeweils dreizehn Riemenpaaren ausgestattet waren. Die anderen drei waren größere Langschiffe mit bis zu dreißig Riemenpaaren. Die Rümpfe der über den Sommer gebauten Schiffe hatte man mit gefetteten Tüchern abgedeckt.
Auf diesen Drachenschiffen würden kaum mehr als dreihundert Männer in den Krieg ziehen können, und das waren viel zu wenig für Hovis wahnsinnige Absicht, die von Steinmauern umgebene Stadt Rom anzugreifen.
Da kam Odo plötzlich eine Idee. Doch bei näherer Betrachtung erschien ihm dieser Gedanke ebenso verrückt wie Hovis tollkühner Plan. Ernüchtert wandte er sich zum Gehen.
Aber würde er wirklich bis zum Frühjahr warten können? Was wäre, wenn der Dämon bis dahin weitergezogen wäre? Vielleicht hatte ihm der Allmächtige genau aus diesem Grund das Weib und den Ring gerade jetzt geschickt?
Nein!
Er blieb abrupt stehen und schaute nach Osten, wo der Slien jenseits des Noors zwischen Wäldern und sanften Hügeln in Richtung des Meeres verschwand. Aus der Richtung zogen dicke, graue Wolken auf. Ein
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