Das Buch der Sünden
Windstoß fuhr unter Odos Kapuze und riss sie von seinem Kopf.Lange stand er so da und dachte nach. Dann machte er sich auf den Weg zu Hovis Anwesen.
Das einst so prächtige Langhaus war bei der Feuerkatastrophe bis auf die Grundpfosten niedergebrannt. Offiziell hieß es, das Gebäude sei von einem Blitz getroffen worden. Aber es gab auch Stimmen, die behaupteten, das Haus sei einer Brandstiftung zum Opfer gefallen.
Nur wenige Tage nach dem großen Feuer hatte man die Reste des alten Langhauses weggeräumt. An dessen Stelle entstand nun ein neues, deutlich größeres Gebäude. Seine Dachkonstruktion ruhte bereits auf Pfosten, und ein Teil der Wände war mit Bohlen befestigt worden. Odo fragte sich, ob Hovis neues Haus noch vor dem Winter fertig werden würde. Aber das war nicht nur eine Zeit-, sondern vor allem eine Geldfrage. Es hieß, Hovi hätte in den Flammen die meisten seiner Schätze verloren.
Als Odo mit gemischten Gefühlen durch das Tor trat und auf den Jarlshof kam, hörte er auf der Baustelle die Geräusche Dutzender Hämmer und Beile. Zahlreiche Arbeiter waren bereits am frühen Morgen an dem Bauwerk beschäftigt. Unter ihnen entdeckte Odo einige der Männer, die auch bei der Errichtung seiner Kirche geholfen hatten. Einer von ihnen war Ospak. Odo rief ihn beim Namen und fragte nach seinem ehemaligen Vorarbeiter Ulf.
Ospak zuckte zusammen, als er Odo erblickte. Offenbar wollte er nicht mit dem Christenpriester in Verbindung gebracht werden. Dennoch nickte er kurz und verschwand hinter einer der Bohlenwände. Kurz darauf kehrte er mit Ulf zurück, der sich vorsichtig umschaute. Die einzigen Männer, die ihm hätten gefährlich werden können, waren eine Handvoll Krieger, die vor einem größeren Stallgebäudeherumlungerten und irgendein Spiel veranstalteten. Aber sie beachteten weder Ulf noch Odo.
Ulf näherte sich Odo auf wenige Schritte. «Ihr solltet Euch hier nicht blicken lassen, Priester. Das ist zu gefährlich.»
Odo lächelte sanft. «Ich möchte nur den Jarl besuchen, mehr nicht.»
Ulf atmete tief ein und ließ die Luft geräuschvoll entweichen. «Nein, tut das nicht! Geht nicht zu Hovi. Er hasst Euch noch viel mehr, seit die Kirche fertiggestellt ist. Ich hatte Euch doch vor der Glocke gewarnt …»
Ospak trat neben Ulf. «Und was geschieht, wenn Hovi Euch tötet, Priester? Wer soll dann unseren Lohn bezahlen?»
Odo dachte für einen Augenblick an die Silbermünzen in seiner Tasche. Damit hätte er die Arbeiter, die das Geld dringend benötigten, bezahlen können. Aber es gab Wichtigeres zu erledigen – und alles, was im Sinne Gottes geschah, hatte Vorrang vor den irdischen Bedürfnissen.
«Habt keine Angst, ihr bekommt euren Lohn bald», sagte Odo. «Das habe ich euch versprochen, und ich werde zu meinem Wort stehen. Gleich nachdem wir unseren ersten Gottesdienst in der Kirche gefeiert und das heilige Haus geweiht haben, zahle ich euch aus.»
Ulf seufzte. «Du findest den Jarl dort drüben.» Er zeigte zum Stallgebäude und verschwand mit Ospak wieder auf der Baustelle.
Außer dem Langhaus waren alle anderen Gebäude im Jarlshof von den Flammen verschont geblieben. Odo kam an kleineren Hütten vorbei, in denen Sklaven, Mägde und Knechte wohnten, sowie an einer Baracke, vor der einDutzend Schweine in der aufgewühlten Erde nach Nahrung suchte.
Die Krieger vor dem langgezogenen Stall hatten ihn noch nicht bemerkt. Zwei von ihnen saßen auf alten Weinfässern und beobachteten die anderen drei Männer, die runde Kieselsteine und Glaskugeln gegen die Wand schnippten. Die Aufgabe des Spiels war denkbar einfach: Wessen Stein am dichtesten an der Wand landete, der hatte gewonnen.
Odo räusperte sich vernehmlich. Die Krieger, die lediglich mit Kurzschwertern bewaffnet waren, drehten sich zu ihm um.
Odo verneigte sich und sagte dann schnell: «Bringt mich bitte zu eurem Führer, dem Jarl Hovi.»
Die Männer starrten ihn überrascht, aber auch belustigt an. Einer von ihnen trat auf Odo zu und baute sich mit vor der Brust verschränkten Armen auf. Er grinste schief. «Was glaubst du eigentlich, wer du bist, Kuttenträger? Unser Jarl empfängt keine Munkis. Das hat er noch nie getan.»
Ein anderer Krieger kam hinzu und zückte demonstrativ sein Schwert. «Überlass den Kerl mir», sagte er. «Hovi wird mich belohnen, wenn ich dem Munki den Bauch aufschlitze.» Er spuckte Odo vor die Füße.
Die übrigen Männer lachten roh.
Da legte sich plötzlich von hinten eine Hand auf Odos
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