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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Regen der vergangenen Tage hatte den Boden so sehr aufgeweicht, dass Odos Füße bis zu den Knöcheln im Schlamm versanken, als man ihn über den Jarlshof führte.
    Die frische Luft tat ihm gut, er atmete sie gierig ein. Im Stall war die Luft unerträglich. Odo war gezwungen gewesen, seine Notdurft wie die Schweine an Ort und Stelle zu erledigen. Der Gestank hatte sich in seine Kutte, seine Haare und die Poren seiner Haut gefressen.
    Die Krieger hatten ihm die Hände auf dem Rücken gefesseltund eine Schlinge um seinen Hals gelegt. Die verbrannte Hand war noch immer verbunden. Die einst weißen Stofffetzen waren schwarz geworden, denn man hatte den Verband nie gewechselt.
    «Beweg dich schneller, du
prekkrsvín,
du Dreckschwein», rief einer der Soldaten und knuffte ihm in den Rücken.
    Odo trug nur noch einen Schuh, den anderen hatten die Schweine gefressen. Beim Gehen schmerzten seine Beine, denn die vergangenen Tage hatte er liegend oder sitzend verbringen müssen. Die Länge der Kette war so bemessen, dass er gerade einmal zum Trog kriechen konnte, an dem er sich mit den Schweinen um das Fressen gestritten hatte. Sklaven hatten täglich die Abfälle aus der Jarlsküche gebracht.
    Von der Baustelle drangen die vertrauten Arbeitsgeräusche herüber. Man hatte inzwischen alle Wände gesetzt, und auch am Dach waren nur noch Restarbeiten zu erledigen. Als einige der Handwerker Odo bemerkten, ließen sie ihre Werkzeuge sinken. Sie beobachteten, wie die schwerbewaffneten Krieger den zerlumpten, vor Dreck starrenden Mann an einer Halsschlinge hinter sich herzogen. Als die Krieger die neugierigen Arbeiter bemerkten, rief einer in Richtung der Baustelle: «Ihr werdet nicht fürs Gaffen bezahlt!»
    Daraufhin gingen die Handwerker schnell wieder an die Arbeit.
    Die Soldaten näherten sich mit dem Gefangenen dem Pferdestall, in dem Hovi noch immer wohnte. Sie stießen Odo in das Gebäude, und als er am Eingang über einen Wassereimer stolperte, zog sich im Fallen die Halsschlinge fest zusammen und schnürte ihm die Luft ab. Sofort zerrteman ihn wieder hoch und lockerte das Seil. Odo rang nach Luft.
    Wie bei ihrer letzten Begegnung saß Hovi auf dem Holzthron. Seine silberne Maske schimmerte im Feuerschein. Auf den Bänken hatten wieder gut zwei Dutzend Männer Platz genommen, die jede von Odos Bewegungen aufmerksam verfolgten.
    Egil Blóðsimlir trat aus dem Halbdunkel hervor und winkte die Soldaten zu sich. Daraufhin führten sie Odo heran und ließen ihn zu Boden fallen wie den Kadaver eines erlegten Tieres.
    Mühsam hob Odo den Kopf. Direkt vor seinen Augen glänzten Hovis eingefettete Lederstiefel.
    «Küss dem großen Jarl die Füße!», schnaubte Egil.
    Odo bewegte sich nicht.
    Da beugte sich Egil zu ihm, packte ihn im Nacken und drückte seinen Mund auf die Stiefel. Das weiche Leder stank nach Dachsfett.
    «Leck sie ab!», fauchte Egil. «Ich will sehen, wie du die Stiefel ableckst!»
    Odos Lippen blieben fest geschlossen. Die Heiden hatten ihm die Freiheit genommen. Sie hatten ihn schlimmer behandelt als einen Sklaven, und wahrscheinlich würden sie ihm nun auch noch das Leben nehmen. Aber er würde mit erhobenem Haupt dem Tod entgegensehen.
    Nach einer Weile ließ der Druck in Odos Nacken nach. Kurz darauf entfernte man ihm die Halsschlinge und die Handfesseln.
    Olaf Skoðgætir, der Waffenmeister, hatte einen mit Wasser gefüllten Eimer herbeigeschleppt und begann nun, Odos Verband abzuwickeln. Die unteren Schichten hatten sich mit Blut vollgesogen und klebten an seinerHaut, sodass Olaf die Hand in das Wasser tauchte. Mit einem Ruck riss er die aufgeweichten Fetzen ab. Odo biss die Zähne zusammen.
    Nachdem Olaf den Dreck und das verkrustete Blut abgewaschen hatte, betrachtete er die Hand eingehend. Dann hob er den Blick, schaute zunächst Egil und dann Hovi an und sagte: «Die Wunde eitert.»
    Einen Augenblick erfüllte gedämpftes Gemurmel den Raum, bis Egil das Wort ergriff. «Die Götter haben also entschieden. Wenn Odin dem Munki wegen der Klokka und der Kirkja verziehen hätte, hätte er die Wunden nicht eitern lassen.»
    Was spielen diese Barbaren für ein Spiel mit mir?, dachte Odo verwirrt. Brandwunden eiterten immer. Das Blut rauschte in seinen Ohren, während er über die widersinnige Probe nachdachte, die Egil mit ihm veranstaltete.
    Es war totenstill geworden im Pferdestall. Nur der ums Gebäude heulende Wind, die aufs Dach trommelnden Regentropfen und das Knistern des Feuers waren zu hören.
    Egils

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