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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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der Arbeiter und Krieger ihre Fußabdrücke hinterließen.
    Dass das Julfest unmittelbar bevorstand, merkte Odo daran, dass die Schweine eines Nachmittags nicht in den Stall zurückgebracht wurden. Stattdessen hallten Quieklaute über den Hof. Durch den Spalt beobachtete Odo, wie man die geschlachteten Tiere in das neue Jarlhaus schleifte. Das Blut der Borstentiere färbte den Schnee rot. Am nächsten Morgen wurde das Kreuz aufgestellt. Arbeiter, unter ihnen auch Ulf und Ospak, mussten ein tiefes Loch in Schnee und Erde graben. Dort hinein hievte man den Fuß des Kreuzes, schüttete das Loch wieder zu und stampfte die Erde fest.
    In der darauffolgenden Nacht, der letzten vor der Wintersonnenwende, erhielt Odo zum zweiten Mal Besuch.Frierend und mit angezogenen Beinen hockte er neben dem Futtertrog, als plötzlich die Tür in den Angeln knarrte und eine leuchtende Gestalt den Stall betrat. Zunächst glaubte Odo, erneut eine Erscheinung zu haben. Doch als die Gestalt sich ihm näherte, erkannte Odo, dass es Egil war. In der Linken hielt er eine brennende Lampe, in der Rechten ein langes Messer, dessen Klinge im Schein aufblitzte.
    «Setz dich an den Pfahl», sagte der Bluttrinker.
    Odo rutschte vom Trog weg, sodass die Kette nicht mehr spannte, und lehnte sich gegen den Balken. Da zog Egil einen Schlüssel aus seinem Mantel und steckte ihn in das Kettenschloss.
    «Du wirst erwartet», sagte er knapp.
    «Aber das Julfest   …?», stieß Odo verwirrt hervor. Seine eigene Stimme hörte sich in seinen Ohren unwirklich an. Er hatte wochenlang mit keinem Menschen mehr gesprochen.
    «Das Fest findet morgen statt», erwiderte Egil. Die Lampe beleuchtete sein von Narben verunstaltetes Gesicht. «Doch heute lasse ich dich frei.»
    Odo schüttelte verwirrt den Kopf. «Hovi   … er lässt mich gehen?»
    Egil schüttelte den Kopf. «Ich bin es, der dich gehen lässt, nicht der Jarl. Allerdings nur unter einer Bedingung. Du musst etwas für mich tun.»
    «Und was, in Gottes Namen?»
    «Ich werde dich zu Hovi bringen», erwiderte Egil und reichte ihm die Hand, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein.
    Odo folgte Egil durch den Schnee. Am wolkenfreien Nachthimmel funkelten unzählige Sterne. Es war windstillund eiskalt. Atemwölkchen bildeten sich vor Odos Mund. Sie kamen an dem Kreuz vorbei und erreichten kurz darauf das neue Gebäude, wo sie zu einer Seitentür gingen, die im hinteren Bereich in die Wand eingelassen war. Hier gab Egil Odo das Messer und zog gleichzeitig sein Schwert, damit Odo nicht auf dumme Gedanken kam.
    «Wenn du mich angreifst», warnte Egil, «schlitze ich dich auf.»
    Dann öffnete er vorsichtig die Tür und schickte Odo mit einem Kopfnicken in das Haus. Odo kam in einen schmalen, dunklen Raum, in dem es verführerisch nach geräuchertem Fleisch und Fisch duftete. Die Tür schloss sich hinter ihm. Egil war draußen geblieben.
    Unmittelbar über dem Boden an der gegenüberliegenden Seite des Vorratsraums schimmerte ein Lichtschein. Odo tastete sich voran, streckte eine Hand aus und fühlte den Riegel einer weiteren Tür. Er legte ein Ohr daran und lauschte. Dahinter waren Schnarchgeräusche zu hören.
    Sachte schob er den Riegel zur Seite und ließ die Tür aufschwingen. Der Raum dahinter wurde erhellt vom Licht mehrerer Ölfeuer, die in Silberschalen brannten. In der Mitte des Raums befand sich ein breites Schlaflager, ein Podest, das mit weichen Fellen und Stroh gepolstert war. Darauf lagen drei Frauen und ein Mann.
    Als Odo einen Schritt in den Raum machte, richteten sich die Frauen so plötzlich auf, als hätten sie auf Odo gewartet. Schweigend und darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, krochen sie unter den Fellen hervor. Odo erkannte in ihnen Hovis Gespielinnen wieder. Unschlüssig, was er tun sollte, beobachtete er, wie die Frauen nach ihrer Kleidung griffen. Sie schlichen an ihm vorbei, gingen durch die Vorratskammer und klopften leise an dieAußentür. Egil öffnete ihnen und ließ sie hinaus. Dann wurde die Tür wieder geschlossen.
    Odo schlich an das Bett und beugte sich über den Mann, der niemand anderes sein konnte als Hovi. Der Jarl trug keine Maske. Trotzdem war sein Gesicht nicht zu erkennen, da es im Schatten lag.
    Da schreckte der Jarl plötzlich hoch.
    Odo stieß vor Schreck einen Schrei aus und prallte zurück, als habe man ihm einen Stoß verpasst.
    Hovi richtete sich auf, wobei Licht auf sein Gesicht fiel. Es war völlig entstellt und sah aus, als habe man den Kopf in kochendes

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