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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Stimme unterbrach jäh die Stille: «Hört nun das Urteil, das Odin unserem großen Führer Hovi eingeflüstert hat.» Er wies mit einer verächtlichen Geste auf Odo. «Der Munki hat die Götter herausgefordert, indem er zu Ehren seines Gottes ein Steinhaus gebaut hat. Der Munki hat uns verhöhnt mit dem Geläute der Klokka. Und dann wollte er   …»
    Egil drehte sich zu Hovi um. «…   unseren großartigen Jarl aus Haithabu fortlocken, um ihn daran zu hindern, im nächsten Frühjahr die Stadt Rom zu verheeren. Denn in dieser Stadt lebt der Anführer der Munkis – man nennt ihn
páfi,
den Papst. Und wisst ihr was, Krieger von Haithabu? Dieser Papst sieht aus wie ein fettes Weib.»
    Als Egil mit einer ausladenden Geste dicke Brüste andeutete, brachen die anderen Männer in lautes Gelächter aus.
    Egil hob die Hand, und der Lärm verebbte. «Bis zum Julfest soll der Munki weiterhin unter seinesgleichen leben dürfen – bei den Schweinen.»
    Einige der Männer ahmten Schweinelaute nach.
    «Und dann wird er sterben!», rief Egil in das Gegrunze.
    Odo nahm sein Todesurteil äußerlich gefasst auf. Er hatte damit gerechnet, nach alldem, was man ihm angetan hatte. Aber er hatte keine Angst vor dem irdischen Tod. Weitaus schlimmer jedoch als alle Qualen, die er würde erleiden müssen, war, dass er seinen heiligen Auftrag nicht erfüllt hatte. Und er war selbst schuld daran, hatte er sich den Barbaren doch eigenhändig ausgeliefert.
    «Wir werden den Munki an ein Kreuz nageln», rief Egil. «So wie man es einst mit seinem Gott gemacht hat. Und dann werfen wir ihn in den Slien, damit die Aale seine Eingeweide fressen.»
    Odo legte allen Hass, zu dem er fähig war, in den Blick, den er dem Bluttrinker zuwarf. Doch als er gerade die Stimme erheben wollte, um den Barbaren Gottes Zorn entgegenzuschleudern, stutzte er. Da war ein eigenartiger Ausdruck in Egils Augen, den er nicht deuten konnte. Es erschien ihm, als wolle der Bluttrinker ihm auf diese Weise eine Botschaft übermitteln. Ein Geheimnis, von dem niemand etwas wissen durfte.
    Und dann zwinkerte Egil ihm verschwörerisch zu.

8.
    Ein Spalt zwischen zwei Brettern war Odos einzige Verbindung zur Außenwelt.
    Sogar den Schweinen gestattete man tagsüber den Gang ins Freie, damit sie sich im Schlamm suhlen konnten. Odo blieb jedoch immer angekettet. Nur wenn er sich auf dem Boden lang ausstreckte, erreichte er den Spalt, durch den er auf die Baustelle schaute.
    Als der Monat
decem
im Jahre des Herrn 863 anbrach, war die äußere Hülle des Gebäudes fertiggestellt. Anschließend machte man sich an die Innenarbeiten. Odo sah die Arbeiter nur noch, wenn sie morgens zur Arbeit kamen und am Nachmittag den Jarlshof wieder verließen oder zwischendurch Material besorgten.
    Und da war noch etwas, das Odo sehen konnte. Eines Morgens hatten Arbeiter ein Holzkreuz errichtet und es an die Außenwand des Langhauses gelehnt. Es war Odo sofort klar, welche Absicht die Heiden verfolgten: Sie wollten den Christengott verhöhnen, indem sie seinen treuen Diener darannagelten.
    Die Tage wurden kürzer. Irgendwann war Odo beim Zählen durcheinandergekommen. Er wusste nicht mehr, welcher Tag gerade war und wie lange es noch bis zum Julfest zur Wintersonnenwende dauern würde, das die Heiden um den einundzwanzigsten Tag des Monats
decem
feierten.
    Einmal bekam Odo heftiges Fieber. Hunger und Kälte hatten seinen Körper ausgezehrt. In der Nacht erwachte er schweißgebadet, und als er sich zwischen den Schweinen aufsetzte, blickte er in ein gleißendes Licht. Inmitten desStalls war eine Gestalt aufgetaucht, von der ein flackerndes Leuchten ausging. Zunächst glaubte Odo, Jesus zu sehen, dann bildete er sich ein, es sei der heilige Johannes. Als die Gestalt sich ihm jedoch näherte, wurde sie zum Barbaren Ragnar Loðbrœk, der Odos Familie vernichtet hatte, dann zum Dänen Helgi.
    Die Gestalt beugte sich zu ihm herab und nahm nun vor Odos getrübtem Blick das Aussehen Egils an, der Odo mit einem wärmenden Schaffell zudeckte und ihm anschließend eine bittere Flüssigkeit einflößte.
    Als Odo am nächsten Tag erwachte, war das Fieber verschwunden. Aber die Gestalt war keine Erscheinung gewesen, denn das Fell lag noch über ihm. Er zerbrach sich den Kopf darüber, warum ausgerechnet Egil ihm das Leben gerettet hatte. Doch ihm fiel keine Lösung ein.
    Kurz darauf fiel der erste Schnee. Die Flocken wirbelten von Böen gescheucht umher und bedeckten den Jarlshof unter einer weißen Schicht, in

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