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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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eine Erleichterung bedeutete, wenn Egil an dessen Stelle trat.
    «Aber warum musste der Jarl sterben?», wollte er wissen.
    «Seine Zeit war abgelaufen. Er hat vergessen, wie man den Ruhm erlangt, der einen Mann nach dem Tode zum Helden macht. Sein Plan, Rom anzugreifen, war der Plan eines Verrückten. Niemals hätte er genügend Männer aufbieten können. Hovi war ein
Gjoflati,
ein Geizhals. Aber ein Herrscher muss sich durch Großzügigkeit auszeichnen. Nur dann folgen ihm seine Krieger in die Schlacht und in den Tod. Hovi hat seine Schätze vergraben, anstatt die Männer mit Edelsteinen und schönen Mädchen zu beschenken.»
    Egil warf sich in die Brust. «Ich weiß, wovon ich rede, Munki! Vor vielen Jahren bin ich mit dem großen Krieger Ragnar Loðbrœk gefahren. Ich war damals noch ein Junge. Wir haben eine große Frankenstadt überfallen, die von Steinmauern umgeben ist. Und wir haben, ohne zu fragen, Ragnars Befehle befolgt. Jeder von uns wäre für ihn in den Tod gegangen, denn er hat uns für die Einnahme von Paris großzügig belohnt   …»
    «Paris?» Odo zuckte bei der Erwähnung seiner Heimatstadt zusammen. Er starrte den Krieger entgeistert an, als ihm bei dessen Anblick ein schrecklicher Gedanke kam. «Diese Narbe in deinem Gesicht – stammt sie von dem Überfall auf Paris?»
    Egils alte Wunde zog sich von der linken Augenbraue über das Augenlid, die Wange und die Nase bis hinunter zum Kinn, wobei sie den Bart teilte wie ein Pfad einen Wald. Die Narbe veränderte ihre Form, als Egil ein stolzes Lächeln aufsetzte. «Ich bin im Kampf verletzt worden.»
    «Und dann hast du dein eigenes Blut getrunken   …», sagte Odo.
    Egil warf ihm einen überraschten Blick zu. «Ja, genau so war es.»
    Odo schloss die Augen. Die Erinnerung an jenen Tag, an dem er dem jungen Egil vor der Kathedrale Saint Etienne in Paris begegnet war, war grauenvoll. Doch er durfte sich jetzt nicht der Vergangenheit hingeben. Odo öffnete die Augen wieder und wandte sich zum Gehen.
    Bevor er den Raum verließ, drehte er sich noch einmal zu Egil um. «Wird der neue Jarl meine Kirche dulden?»
    «Da Hovi nun tot ist, werde ich an seiner Stelle auf dein Angebot eingehen», erwiderte Egil. «Du darfst die Klokka läuten, so laut und so oft du willst, wenn du mich zu dieser Insel führst. Sobald der Winter vorüber ist, werde ich Hovis Schätze heben. Damit werde ich König Horick Hunderte Krieger abwerben. Wir werden die Slawen angreifen und ihren Tempel plündern. Und mit den Reichtümern werde ich noch mehr Männer kaufen – so viele, bis ich Horick stürzen kann.»
    Odo lächelte schwach. Egils Herrschaft würde den Menschenkeine Erlösung bringen. Im Gegenteil. Dennoch war Odo zu einem Pakt mit diesem Teufel gezwungen. Aber auch dessen Tage waren gezählt.
    Egil zog Odos Geldbeutel unter seinem Mantel hervor, wog ihn kurz in der Hand, dann gab er ihn dem Priester. «Es sind noch alle Münzen da. Nimm sie an dich und betrachte es als Beweis für meine Großzügigkeit.»
    Odo steckte den Beutel ein.
    «Und nun verschwinde», sagte Egil, «der Tag bricht bald an. Halte dich bereit. Wenn der Mond sich dreimal gefüllt hat, werde ich dich aus deiner Kirkja holen lassen, und dann fahren wir nach Osten.»
    Als Odo aus dem Hintereingang kam, hinterließen seine Füße im Schnee rote Spuren. Er wanderte durch die schlafende Stadt nach Norden, zu seiner Gemeinde. Zu seiner Kirche.
    Aber sein Blick ging nach Osten. Irgendwo dort, in weiter Ferne, lag die Insel Rujana. Und der erste Normanne, den Odo damals in Paris zu Gesicht bekommen hatte, würde ihn hinbringen.

9.
    Am zwölften Tag des Monats
martius
im Jahre des Herrn 864 versammelten sich Hunderte Menschen im Hafen von Haithabu. Ihnen bot sich ein Bild, wie man es selten zuvor in der Stadt gesehen hatte. Mehr als zwei Dutzend Kriegsschiffe hatten an den Landebrücken festgemacht, wo sie in Zweier- oder sogar Dreierreihen nebeneinanderlagen. Die Drachenköpfe schaukelten in den Wellen, an den Masten flatterten bunte Wimpel im Wind.
    Es herrschte Aufbruchstimmung.
    Egil, der als neuer Jarl eingesetzt worden war, hatte zusätzlich zu den von Hovi gebauten Booten weitere Schiffe gekauft. Nun wartete eine Streitmacht von annähernd achthundert Kriegern ungeduldig auf die Abfahrt. Die Männer, die aus allen Gegenden des dänischen Reichs stammten, waren dem Ruf des Silbers gefolgt. Zehn Silbermünzen hatte Egil jedem in die Hand gezählt. Den restlichen Lohn sollten die Krieger nach der

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