Das Buch der Sünden
Tempelburg erhob. Helgi und Damek zogen ihre Fellkappen tiefer, um sich vor den erbsengroßen Regentropfen zu schützen.
«Beschissenes Wetter», fluchte Damek abermals, während er sich das Wasser aus dem Gesicht wischte.
«Treffender hätte ich es nicht ausdrücken können», erwiderte Helgi gelassen.
Er beugte sich nach vorn und tätschelte den Hals seines Pferdes. Wie Dameks Reittier war es schwer bepackt mit Decken, Taschen und Zeltbahnen. Helgis Schwert steckte in einer Holzscheide, die ihm ein Handwerker aus Ralsvik gefertigt hatte und deren Spitze unter dem Saum seines Mantels hervorschaute.
«Wir hätten zu Hause bleiben sollen», knurrte der Toblac. «Dann hätte ich mich an Dobricas Brüsten wärmen können, anstatt mir hier …»
«Dobrica?», unterbrach ihn Helgi erstaunt. «Du meinst doch nicht etwa die Tochter von Plivnik, dem Fischer?»
Damek zuckte mit den Schultern. «Na und? Sie ist sechzehn und reif für die Liebe.»
Helgi stöhnte. «Wie viele Weiber gedenkst du noch zu schwängern?»
Damek warf ihm einen finsteren Blick zu. «Willst du mir den Spaß verderben? Vergiss nicht, wem du es zu verdanken hast, dass König Ratibor dich zum Wojwoden ernannt hat.»
Helgi stieß einen Seufzer aus. «Wenigstens sorgst du dafür, dass unser guter Ansgar nicht arbeitslos wird. Hast du dich wenigstens mal bei ihm dafür bedankt, dass er sich aufopfernd um deine abgelegten Frauen und deine Nachkommen kümmert?»
«Warum sollte ich? Eine Hand wäscht die andere. Ich habe meinen Spaß, und der Munki bekommt die Jünger, die er braucht, um seine heiligen Worte predigen zu können. Und außerdem …», Damek bedachte Helgi mit einem schiefen Grinsen, «bin ich unter uns beiden stattlichen Männern nicht der Einzige, der dafür sorgt, dass sich die Schar der Kinder in Ralsvik mehrt. Meine zarte Duša ist ja inzwischen rund wie eine Kugel.»
Ein Lächeln umspielte Helgis Lippen, als er an Teška dachte – und an das Kind, das in ihrem Körper heranwuchs. Bis zur Niederkunft dauerte es zwar noch, aber ihr war immer öfter unwohl, daher war er gestern alleine aufgebrochen. Seitdem sie Tetĕslav in die Flucht geschlagen hatten, waren Teška und er nicht einen einzigen Tag getrennt gewesen. Doch der Anlass für diese Reise nach Arkona war zu wichtig. Sosehr er es auch vorgezogen hätte, bei ihr zu bleiben, er hatte hierherkommen müssen.
Denn am heutigen Abend sollte der Gott zu den Ranen zurückkehren.
«He, Däne!», rief Damek. «Wenn wir hier noch lange herumstehen, bin ich nicht nur nass bis auf die Knochen,sondern auch noch verhungert. Willst du das? Willst du verantworten, dass dein Lehrmeister den Hungertod stirbt?»
Er deutete in Richtung der Siedlung Putgarde, wo wie im vergangenen Herbst Dutzende Zelte errichtet worden waren, über denen die unterschiedlichen Wimpel der Wojwoden Rujanas im Regenwind flatterten. Auf dem Marktplatz waren viele Menschen damit beschäftigt, Stände und Buden zu errichten und gegen das Unwetter zu befestigen.
«Ich kann’s kaum erwarten, in einen fetten Aal zu beißen», rief Damek in den Wind. Sein triefender Schnurrbart zitterte, als er sich voller Vorfreude die Regentropfen von den Lippen leckte.
Trotz des Wetters an diesem Nachmittag war der Markt gut besucht. Längst hatte es sich an den Küsten des Meeres herumgesprochen, dass die Schreckensherrschaft des Hohepriesters Žilobog gebrochen war. Auch hatte es seit Tetĕslavs Flucht keine Piratenüberfälle in den Gewässern um Rujana mehr gegeben. Dem Seehandel stand ein gutes Jahr bevor.
Wegen der Einweihung der neuen Statue des Gottes Svantevit hatten König Ratibor und der Priesterrat den Frühlingsmarkt in diesem Jahr früher angesetzt. Mit der Herstellung der Statue hatte man im Herbst die besten Holzschnitzer beauftragt, und sie hatten den ganzen Winter über hart daran gearbeitet, das Abbild ihres vierköpfigen Götzen aus dem Stamm einer gewaltigen Eiche zu schälen.
Heute Abend nun würde Svantevit endlich auf die Burg gebracht werden. Die besten Soldaten des königlichen Heeres hatten ihn in den vergangenen Wochen auf einemOchsenwagen über die ganze Insel gekarrt, um dem Volk seinen Gott zu präsentieren. Wo auch immer Svantevit hinkam, drängten sich die Menschen an den Wegen und jubelten ihrem Gott zu. Denn dies war die einzige Gelegenheit, ihn jemals leibhaftig zu sehen, bevor er hinter den uneinnehmbaren Mauern der Tempelburg verschwinden würde.
«Da wäre noch eine Sache», druckste
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