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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Steilküste Langschiffe auf. Erst zwei, dann vier, dann immer mehr. Die Schiffe wurden von unzähligen Rudern vorangetrieben, und sie bewegten sich atemberaubend schnell und unaufhaltsam auf die Küste zu. Ihre Kiele zerschnitten die Wasseroberfläche wie Schwerter. Und an den Masten, deren Segel man eingeholt hatte, knatterten die dreieckigen, blaugelben Wimpel des Jarls von Haithabu.
    Helgis Herz trommelte gegen seine Brust. Seine Landsleute – die Dänen griffen an!
    Fassungslos und starr vor Entsetzen, beobachtete er, wie sich die Flotte unaufhörlich dem Strand näherte. Erzählte mindestens zwei Dutzend Schiffe. An den Vordersteven thronten Drachenköpfe – zähnefletschende Gespensterwesen. Schon erreichte das erste Langschiff das flache Uferwasser. Der Kiel bohrte sich knirschend und mit voller Wucht so tief in den Kiesstrand, dass die Steine aufspritzten und davonflogen wie Schwärme aufgescheuchter Hornissen. Als das Schiff zum Stehen gekommen war, neigte sich der Rumpf leicht zur Seite. Der Drachenkopf war drohend auf die Siedlung gerichtet, in der der Alte mittlerweile einige Bewohner hatte wecken können.
    Menschen schrien in Panik. Frauen rissen ihre Kinder aus dem Schlaf und nahmen ihre Neugeborenen in die Arme, während die Männer versuchten, wenigstens ihr wertvollstes Hab und Gut zusammenzuraffen, damit es den Barbaren nicht in die Hände fiel.
    Doch es war zu spät zur Flucht.
    In rascher Folge landeten weitere Schiffe, und bald war der ganze Strand von Schiffen übersät. Männer sprangen an Land   – Hunderte Männer, die mit Schilden, Schwertern, Langäxten und Lanzen bewaffnet waren. Sie liefen auf die Fischerhütten zu, ihre Klingen blitzten im Schein der aufgehenden Sonne. Vor Mordgier brüllend, setzten sie den Bewohnern nach, die den Hang hinauf zur Steilküste flohen.
    Helgi stand wie angewurzelt am oberen Rand des Küsteneinschnitts und musste hilflos mitansehen, wie die Krieger über Männer, Frauen und Kinder herfielen. Ihre Todesschreie drangen zu ihm hinauf, als die Waffen der Dänen in die Körper der Opfer fuhren. Einige Dänen griffen zudem die Handelsschiffe an. Bald trieben Dutzende Leichen im seichten Wasser vor der Küste. Das Meer färbte sich rot vom Blut.
    Doch sosehr dieser Anblick Helgi auch verstörte, ihm war sofort klar, dass das eigentliche Ziel der Dänen nicht das Fischerdorf war. Sie hatten es auf Arkona und Putgarde abgesehen. Helgi versuchte, die Zahl der Dänen abzuschätzen. Es waren mindestens sechshundert Männer, wahrscheinlich noch mehr.
    Er musste die Ranen warnen!

4.
    Helgi stürmte über den Marktplatz. Mit Einbruch der Morgendämmerung war hier und im Zeltlager das Leben erwacht. Wojwoden, Priester und Soldaten wuschen sich mit kaltem Wasser den Schlaf aus den Gesichtern. Händler brachten ihre Waren zu den Ständen, wo sie bereits von den ersten Kunden erwartet wurden. Helgi hielt direkt auf das Königszelt zu, dessen Eingang von mehreren Soldaten bewacht wurde.
    Als sie Helgi bemerkten, stellten sie sich ihm in den Weg. «Was willst du, Wojwode?»
    «Lasst mich vorbei», brüllte Helgi.
    Die Männer wichen vor dem großgewachsenen Mann zurück, gaben das Zelt aber nicht frei. Der völlig aufgelöste Helgi machte nicht den Eindruck, als wolle er dem König einen Höflichkeitsbesuch abstatten.
    In dem Moment wurde die Zeltbahn zur Seite geschoben. Ratibor trat von Helgis lauter Stimme angelockt ins Freie. Das Gesicht des Königs sah alt aus, sein Haar war vom Schlafen zerzaust.
    «Wir werden angegriffen», rief Helgi und versuchte, sich an den Wachen vorbeizudrängen. Doch erst als Ratiborihnen befahl, Helgi zu ihm durchzulassen, traten sie zur Seite.
    «Angegriffen? Von wem?», fragte der König, der plötzlich hellwach wirkte.
    «Unten an der Vitten sind viele Schiffe gelandet. Es sind Hunderte Krieger. Sie töten die Fischer und ihre Familien.» Helgis Stimme überschlug sich fast, während er die grauenvollen Szenen beschrieb, die er gesehen hatte.
    Unterdessen kamen immer mehr Männer zum Königszelt, denn die Nachricht über einen Angriff hatte sich in Windeseile im Lager verbreitet. Bald bildeten die Wojwoden einen Ring um Helgi. Da drängte ein Mann durch die Reihen nach vorn und baute sich neben Ratibor auf. Es war Anatrog, dem man an den geröteten Augen die Nachwehen des übermäßigen Weinkonsums der vergangenen Nacht ansah.
    Seine Stimme schnitt scharf durch die kühle Morgenluft: «Es sind Dänen, oder? Sag, dass es Dänen sind – du

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