Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
Vom Netzwerk:
gelegen hatte, zur Seite. Der Wind zerrte an den Zeltwänden und ließ die Gerüststangen erbeben. Es war noch immer dunkel, auch wenn der Morgen unmittelbar bevorzustehen schien.
     
    Plötzlich erinnerte Helgi sich an die Fragen, die der Däne auf dem Marktplatz gestellt hatte. Was, wenn es sich nicht nur um eine Handvoll vorbeiziehender Dänen handelte, die sich von den dreihundert Mann Bewachung auf der Burg abschrecken ließen? Was, wenn sich in Haithabu einiges geändert hatte und Hovi nun nicht mehr Rom angreifen wollte   …
    Helgi kroch aus dem Lager, schlüpfte in seine klammen Lederstiefel und trat vor das Zelt. Über dem Horizont schimmerte ein schmaler Silberstreif, die Vorhut der Morgendämmerung. Bald würde der Tag anbrechen – der Tag, der für die Ranen von so großer Bedeutung war.
    Eine Weile blieb Helgi unschlüssig vor dem Zelt stehen. Im Lager war es noch still; nur hin und wieder hustete irgendwo jemand. Allmählich hellten sich die tief über dem Meer hängenden Wolken etwas auf, und als die ersten Vögel zwitschernd den neuen Tag begrüßten, ging Helgi, von Unruhe getrieben und ohne ein bestimmtes Ziel, durch das schlafende Lager. Vor einigen Zelten kauerten Krieger am Boden, die die Eingänge bewachten und Helgi mit müden Blicken bedachten, ohne sich weiter um ihn zu kümmern.
    Es schien ein Morgen wie jeder andere zu sein. Dennoch hatte sich eine bedrohliche Stille über die Insel gelegt. Selbst der Wind schlief mit einem Mal ein.
    Helgis Stiefel schmatzten durch den feuchten Boden, während er vom Zeltlager zum Marktplatz ging. Sein Blick fiel auf die weite, nebelverhangene Ebene, die sich bis zur Küste erstreckte, über der die Tempelburg thronte. Nirgendwo war etwas Auffälliges zu erkennen, das Helgi hätte beunruhigen müssen.
    Dennoch ging er immer weiter.
    Der Marktplatz war verwaist bis auf ein paar Krieger, die darüber wachten, dass sich niemand an den Ständen und Buden zu schaffen machte. Auch sie beachteten Helgi nicht, als er an ihnen vorbeikam.
    Eine Weile folgte er der mit Bohlen befestigten Straße, die nach Arkona führte, bis zu der Stelle, an der oberhalb eines Tümpels rechter Hand der Weg abzweigte, über den man zu der Vitten, dem Anlandeplatz von Arkona, gelangte. Hier und da riss nun sogar die graue Wolkendecke auf. Darüber verblassten die Sterne im heller werdenden Tageslicht. Auch der Nebel, der über den Feldern und Wiesen waberte, löste sich auf. Alles deutete darauf hin, dass es ein sonniger, angenehmer Frühlingstag werden würde.
    Je länger Helgi durch die erwachende Natur wanderte, desto freier wurde sein Kopf, und die bedrückenden Gedanken der schlaflosen Nacht lösten sich auf. Geradezu beschwingt näherte er sich der Mulde in der Küstenlinie, in der die Fischersiedlung eingebettet lag. Ein sanfter Windhauch wehte Helgi den Duft würziger Meeresalgen in die Nase.
    Am oberen Rand der Mulde hielt er inne und schaute zwischen den Bäumen hindurch auf das gute Dutzend schilfgedeckter Dächer hinab. Jenseits der Hütten standen aufgereiht am Kiesstrand mehrere Holzgestelle, auf denen die Fischer ihre Netze zum Trocknen gehängt hatten; außerdem befanden sich dort etliche Fischkisten, Pökelfässer und Flechtkörbe. Dahinter glitzerte das Meer silberfarben. Unweit des Ufers lagen Handelsschiffe vor Anker.
    Die Siedlung an der Vitten schien noch in tiefem Schlummer zu liegen. Helgi wollte sich gerade von dem friedlichenAnblick lösen, als ein älterer Mann aus einer der Hütten trat. Der Alte schlurfte über einen Gehstock gebeugt zu einem Abort in der Nähe des Kiesstrandes. Doch plötzlich blieb er so unvermittelt stehen, als sei er gegen eine Wand geprallt. Der Stock entglitt seiner Hand, und sein Mund öffnete sich zu einem Schrei.
    Der entsetzte Blick des Alten war gen Norden auf das Meer gerichtet. Das, was ihn zu Tode erschreckt hatte, war von Helgis Standpunkt aus durch die Steilküste verdeckt. Da drangen Geräusche an seine Ohren. Platschende Geräusche, als würden Ruderblätter das Wasser teilen, und er hörte Stimmen, ein undeutliches Gewirr an Männerstimmen.
    Der Alte hatte inzwischen seinen Stock wieder aufgehoben und hinkte eilig zu den Hütten zurück. Dabei schrie er immer wieder etwas, das Helgi auf die Entfernung nicht verstehen konnte. Erst als der Mann die erste Hütte erreichte und mit seinem Stock gegen die Tür hämmerte, verstand Helgi den Alten. Er rief: «Angriff!»
    Helgi erstarrte.
    In dem Moment tauchten hinter der

Weitere Kostenlose Bücher