Das Buch der Sünden
Verräter!»
Alle Augen richteten sich auf Helgi, der das Gefühl hatte, als würde ihm der Boden unter den Füßen fortgezogen.
«Sind es deine Dänen, du Verräter?», wiederholte Anatrog.
Helgi suchte verzweifelt Ratibors Blick.
«Antworte!», sagte der König streng.
Helgi nickte traurig. «Ich habe nichts davon gewusst, das schwöre ich Euch. Wenn ich Euch verraten hätte, hätte ich Euch doch nicht gewarnt.»
«Er lügt!», schrie Anatrog. «Ich habe euch alle gewarnt vor diesem Hundesohn. Er hat sich unter unser Volk geschlichen, um uns an seine Landsleute auszuliefern. Undjetzt will er sich herausreden. Dabei ist er nur aus einem einzigen Grund zurückgekehrt: Er will unseren König töten!»
Unruhe breitete sich unter den Wojwoden aus.
«Nein … ich …», stammelte Helgi.
Ratibor schaute ihn mit ernster Miene an. Er schien Anatrogs Worte abzuwägen, kam dann aber zu einer Entscheidung. «Ich habe dir vertraut, Däne. Ich habe geglaubt, du wärst unser Freund. Ja, das habe ich wirklich.» Dann forderte er seine Soldaten auf, Helgi zu entwaffnen und ihn zu ergreifen. Helgi ließ sich widerstandslos das Schwert abnehmen und leistete auch keine Gegenwehr, als die Männer ihn packten und in den Schlamm zu Ratibors Füßen warfen.
Ohne Helgi eines weiteren Blickes zu würdigen, stapfte der König an ihm vorbei in Richtung des Marktes, von wo aus man die Küstenlinie überblicken konnte. Aus dem ganzen Lager eilten Männer herbei, um dem König zu folgen.
Das Heer der Dänen sammelte sich oberhalb des Küsteneinschnitts. Mehrere Hundert Krieger hatten den Hang bereits erklommen, und noch immer kamen weitere nach. Die Dänen bildeten zwei Gruppen, machten jedoch keinerlei Anstalten vorzurücken. Sie schienen auf irgendetwas zu warten.
Plötzlich ertönten von Arkona her durchdringende Hornklänge. Das Alarmsignal! Nun hatte man auch auf der Tempelburg die Dänen bemerkt.
«Wir rücken gegen sie vor», sagte Ratibor zu Anatrog. «Die Wojwoden sollen ihre Männer zusammenziehen.»
«Das sollten wir nicht tun», widersprach Anatrog. «Wir haben zu wenig Soldaten.»
«Ich weiß, dass wir kaum mehr als zweihundert waffenfähige Männer haben», erwiderte Ratibor ungeduldig. «Es hat keinerlei Vorzeichen für einen Angriff gegeben. Sonst hätte ich unser Heer nicht auf der Burg Charenza zurückgelassen. Und nun haben die dänischen Hundesöhne mindestens dreimal mehr Männer hier als wir – soweit sich das aus der Entfernung einschätzen lässt. Aber wir müssen etwas tun! Die Tempelsoldaten müssen uns zu Hilfe kommen.»
«Sie werden die Burg nicht verlassen», gab ein anderer Wojwode zu bedenken, «weil sie unseren Gott nicht schutzlos zurücklassen können.»
Ratibor seufzte. Er wusste, dass seine Männer recht hatten. Mit geballten Fäusten drehte er sich zu den Wojwoden um. «Dann gehen wir in die Burg.»
Für einen Moment sagte niemand etwas. Der Wojwode, der als Letzter gesprochen hatte, fand als Erster die Sprache wieder. «Und wenn die Dänen schneller sind?»
Ratibor drückte den Rücken durch. «Wir haben keine andere Wahl.»
Dann eilten sie ins Lager zurück, um ihre Pferde zu holen.
Inzwischen hatten auch die Menschen auf dem Markt von dem Angriff erfahren. Panik machte sich breit. Hastig rafften die Händler ihre ausgelegten Waren wieder zusammen und packten sich die Arme voll mit allem, was sie tragen konnten.
Helgi saß mit auf dem Rücken gefesselten Armen vor dem Königszelt und verfolgte das heillose Durcheinander auf dem Marktplatz. Zurückgebliebene Händler verstauten ihr Hab und Gut auf Karren.
Bald darauf zog ein langer Tross über den Weg von Putgarde nach Arkona. An der Spitze ritt der König, gefolgt von Soldaten und berittenen Wojwoden und schließlich von jenen Händlern, die ebenfalls Pferde hatten. Die Menschen, die zu Fuß laufen mussten, fielen immer weiter zurück.
Und dann setzten sich die Dänen in Bewegung, um den Ranen den Weg abzuschneiden.
Die drei Soldaten, die Ratibor zu Helgis Bewachung zurückgelassen hatte, wurden immer unruhiger. Schließlich kamen sie überein, entgegen dem Befehl ihren Posten zu verlassen und ebenfalls auf die Burg zu fliehen. Es schien gerade noch genug Zeit zu sein, um Arkona zu erreichen.
Da tauchte plötzlich Anatrog zwischen den Zelten auf. Er hatte sein Schwert umgegürtet und trug einen Schild und einen Helm.
«Wollt ihr den Verräter etwa hier zurücklassen?», herrschte Anatrog die Soldaten an.
«Wenn wir
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