Das Buch der Sünden
ihre Kisten. Selbst Kleidungsstücke, die nicht zu sehr durch die Schwerthiebe zerfetzt worden waren, zogen die Krieger ihren Opfern aus.
«Wir müssen versuchen, den Wald zu erreichen», beschloss Damek.
Helgi nickte. Aber zuerst musste er sein Schwert holen, das man in Ratibors Zelt gebracht hatte. Er entdeckte es auf einem der Tische und kehrte damit zu Damek zurück. Wie angegossen stand der Toblac da und starrte entsetzt in die von Arkona aus gesehen entgegengesetzte Richtung.
«Es ist zu spät – sie haben uns umzingelt!», sagte er. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren.
Weder Helgi noch Damek hatten bemerkt, dass die Dänen zwei Gruppen gebildet hatten. Während die weitaus größere Gruppe die Flüchtenden angriff, hatten sich gut einhundertDänen an der Küste in südlicher Richtung bewegt. Diese Krieger waren nun unterhalb von Putgarde auf die Ebene vorgerückt. Was sie vorhatten, war offensichtlich: Sie wollten alle Zurückgebliebenen auf dem Marktplatz einkesseln, sie töten und ausrauben.
Und jetzt schnitten diese Krieger Helgi und Damek den Fluchtweg ab.
Die Dänen näherten sich in einer breiten Linie dem Zeltlager und dem Markt. Plötzlich sah Helgi huschende Schatten zwischen den Zelten. Offensichtlich waren er und Damek nicht die Einzigen, die zurückgeblieben waren. Immer mehr Menschen krochen aus ihren vermeintlich sicheren Verstecken unter Ständen oder Karren hervor und suchten panisch nach einem Ausweg; doch es gab keinen. Der Ring der Angreifer schloss sich unerbittlich um Putgarde.
Helgi zog sein Schwert.
Damek bedachte Helgi mit einem fragenden Blick. «Vielleicht lassen sie dich am Leben? Schließlich bist du einer von ihnen.»
Helgi erwiderte nichts. Er dachte an Odins Worte: Töte deine Feinde! Aber waren die Dänen wirklich seine Feinde?
Sein Schwert glänzte in der Morgensonne; Teška hatte die Klinge in den vergangenen Tagen mit Sand abgerieben und allen Rost, der sich über den Winter angesetzt hatte, entfernt.
Die ersten Dänen drangen bereits auf den Marktplatz vor. Sie waren jetzt so nah, dass Helgi ihre Gesichter sehen konnte. Einer der mit Kettenhemden und Helmen geschützten Männer war mit einer langen Streitaxt, einer
barða,
bewaffnet, die er mit beiden Händen über seinemKopf schwang. Sein Bauch wölbte sich über dem Gürtel, und sein rötlicher Bart war zu zwei langen Zöpfen geflochten. Helgi erkannte den Mann sofort wieder. Es war der Waffenmeister von Haithabu, Olaf Skoðgætir, der sich damals an Teška hatte vergreifen wollen. Helgi hasste den Kerl, und er wusste, dass auch Olaf ihn hasste. Nicht auszudenken, was geschah, wenn der Waffenmeister ihn wiedererkannte.
In dem Moment streckte dessen kreisende Axt zwei Ranen nieder, die sich um Gnade flehend vor ihm niedergekniet hatten. Es bestätigte Helgis Vermutung, dass weder Olaf noch die anderen Dänen einen von ihnen verschonen würden.
«Heilsa, frændi!», rief plötzlich jemand von den Zelten her.
Helgi wirbelte herum. Breit grinsend näherte sich ihnen der Däne, den Helgi gestern auf dem Markt belauscht hatte. Und die Erkenntnis, dass Helgi den Angriff womöglich hätte verhindern können, wenn er die Ranen rechtzeitig gewarnt hätte, legte sich um sein Herz wie eine eiskalte Faust.
Der Krieger warf ihm und Damek belustigte Blicke zu. «Sieh an, sieh an! Der Däne, der angeblich ein Händler ist.»
Helgi erwiderte den Blick. «Hat es dir in Wollin nicht gefallen, frændi?»
«Nein, warum sollte ich nach Wollin fahren, wo es hier doch alles umsonst gibt? Silber, Weiber, Wein …»
«Der Jarl hat befohlen, keine Gefangenen zu nehmen», rief eine raue Stimme aus dem Hintergrund. «Erschlag die Bastarde endlich, Eric!»
Olaf tauchte mit geschulterter Axt hinter dem Königszeltauf. Sein Kettenhemd war rot vom Blut seiner Opfer. Er wurde begleitet von einem halben Dutzend Krieger.
«Ja, aber hier ist einer, der behauptet, er sei Däne», erwiderte Eric.
«Däne?» Olaf musterte Helgi mit gekrauster Stirn. Dann, nachdem er eine Weile überlegt hatte, legte sich ein Schatten über seine Miene.
«O ja! Ich kenne ihn», knurrte er. «Er hat das Haus unseres Herrn Hovi angezündet …» Er nickte lachend. «Da hast du dir ein gutes Versteck ausgesucht, Schmied. Aber leider haben wir dich nun gefunden.»
Als der Waffenmeister die Axt von seiner Schulter wuchtete, richtete Helgi das Schwert auf ihn. Kampflos würde er sich nicht ergeben. Neben ihm zog Damek sein Messer. Olaf näherte sich
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