Das Buch der Sünden
Menschen an. Vor allem Dänen, aber auch Friesen, Sachsen und Slawen lebten hier. Manche hielten sich nur während der Handelsmonate in der Stadt auf; aber viele siedelten sich dauerhaft an. Neue Häuser mussten gebaut werden, gutes Bauland war seit Jahren knapp. Die von Wäldern, Sümpfen und Moorflächen umgebene Stadt dehnte sich keilförmig in die westlich vom Hafen gelegenen Wälder aus. In den äußeren Bereichen, dort, wo der Boden fest war, standen die Grubenhäuser. An den Ufern des Baches, der durch die Stadt floss, drängten sich Hütten und größere Gebäude; auch auf dem Friedhof wurde es allmählich eng.
Der Hafen mit seinem halben Dutzend Landebrücken, an denen von Frühjahr bis Herbst die Handelsschiffe lagen, wurde ständig erweitert. Unweit des Hafens befand sich das Handwerkerviertel, in dem Glasperlenmacher, Lederverarbeiter, Bernsteinschleifer, Schmiede und andere Handwerker lebten und arbeiteten.
Einer dieser Schmiede war der alte Einar, der zwar von schmächtiger Statur, aber sehnig und drahtig war. Er arbeitete härter als mancher Hüne.
An diesem Morgen drangen die metallischen Klänge des Schmiedehammers schon in aller Frühe aus der Werkstatt. Doch plötzlich wurde es still. Man konnte Einar fluchen hören.
«Pass auf, Junge – verdammt nochmal!», schnauzte er seinen Sohn an, den siebzehnjährigen Helgi.
Einar bückte sich wütend nach dem verglühenden Werkstück. Nicht zum ersten Mal hatte der Junge das Eisen auf die falsche Weise gehalten, sodass es vom Amboss gerutscht und zu Boden gefallen war.
Einar reichte Helgi die Zange mit dem darin eingeklemmten Eisenstück.
«Leg es in die Esse», grummelte der Alte.
Helgi entfachte das Schmiedefeuer mit dem Blasebalg, und während er Luft in die Kohle pumpte, beobachtete er lustlos, wie das Eisen allmählich wieder zu glühen begann.
Der Junge war außergewöhnlich groß für einen Dänen. Seine Eltern, Einar und Gullweig, reichten ihm gerade bis zur Brust. Da Helgis Haar außerdem pechschwarz war, das seiner Eltern jedoch blond, nannten ihn einige Leute ehrfurchtsvoll
ímr,
den dunklen Riesen.
Der Rauch stieg kräuselnd über der Esse auf und verschwand in einem Abzug. Während Helgi gedankenversunken dem Rauch nachschaute, spielten seine Finger an dem Ring, den ihm seine Eltern geschenkt hatten. Das silberne Schmuckstück hing an einem Lederband um seinen Hals, denn für seine Finger war es längst viel zu eng geworden.
Helgi gähnte. Die Schmiedearbeit langweilte ihn. Viel lieber schnitzte er weiches Holz wie das der Eibe.
«Bis zum Abend muss das Schwert fertig sein», sagte Einar vorwurfsvoll. «Du weißt, was davon abhängt.»
Helgi nahm das kirschrot glühende Werkstück vom Feuer und legte es wieder auf dem Amboss bereit. Sogleich begann Einar, den Hammer mit geübten Bewegungen zu führen. Die Werkstatt wurde von metallischen Klängen erfüllt. Funken stoben bei jedem Schlag auf, verteilten sich auf dem Boden und flogen gegen die Lederschürzen, die Helgi und sein Vater trugen.
Immer wenn Einar das Werkzeug ruhen ließ, hörten sie andere Hammerschläge, die durch die mit Lehm verputztenWände drangen. Auch im Nachbarhaus lebte und arbeitete ein Schmied. Sein Name lautete Gizur, aber man nannte ihn meist nur
kryppa,
was so viel wie Buckel bedeutete. Gizur war Einars ärgster Konkurrent. Ihre Häuser waren nur durch einen hüfthohen Weidenzaun getrennt, und zwischen den Wänden war gerade einmal so viel Platz, dass man die Arme ausbreiten konnte.
«Dieser Bastard gönnt sich keine Pause», zischte Einar, als Helgi das Werkstück, das immer mehr die Form eines Schwertes angenommen hatte, erneut in die Esse legte.
Da betrat Gullweig die Werkstatt. «Aber
du
solltest dir eine Pause gönnen», sagte sie.
Helgis Mutter stand in der geöffneten Tür, die zur Schlafkammer führte, und erinnerte die beiden daran, dass nun Zeit zum Essen sei.
Einar verzog das Gesicht. «Ich kann deine Hafergrütze nicht mehr sehen.»
«Ach so?» Gullweig machte einen Schritt auf ihren Mann zu. Sie stemmte die Hände in die Hüften und schaute Einar herausfordernd an.
Helgi musste sich ein Grinsen verkneifen, als er die beiden Streithähne beobachtete. Während Gullweig im Laufe der Jahre ein wenig in die Breite gegangen war, hatte die harte Arbeit Einar schlank bleiben lassen.
«Ja – ach so!», brummte Einar. «Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist.»
«Also, mir knurrt auch der Magen», warf Helgi ein.
Einar schaute die
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