Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
Vom Netzwerk:
Stirn. «Nun, es gibt auch Stimmen, die besagen, dass Ansgar eine dritte Missionsreise in den Norden unternommen hat, allerdings auf eigene Faust und ohne päpstlichen Auftrag   …»
    Odo hörte Adamnanus’ Erzählung noch eine Weile aufmerksam zu, bis dieser von einem so heftigen Hustenanfall geschüttelt wurde, dass er nicht mehr weitersprechen konnte. Daraufhin legte Odo den Priester auf ein von Mäusen zerfressenes Lager und betete für ihn. Erst nachdem Adamnanus eingeschlafen war, ließ Odo ihn schweren Herzens allein.
    Als er später durch die belebten Straßen der Hammaburg lief, ging ihm ein Wort nicht mehr aus dem Sinn, das er aus Adamnanus’ Munde vernommen hatte. Zunächst unbewusst, dann immer bewusster murmelte Odo das Wort vor sich hin. Es war der Name einer Stadt, und er lautete Haithabu.
    Haithabu!
    «Es ist eine große Hafenstadt im Norden, an der Grenze zum Reich der Dänen», hatte Adamnanus gesagt, «und in dieser Stadt hat Ansgar vor vielen Jahren die erste Kircheauf nordischem Heidenland errichtet – mit Erlaubnis des Dänenkönigs.» Sogar eine Glocke hätten die Christen dort läuten dürfen. Zwar hätten die Heiden den Glockenturm wenige Jahre später wieder abgerissen und die Glocke eingeschmolzen, um aus dem Material Waffen zu schmieden. Dennoch sollte es in dieser Heidenstadt noch immer einige Christen geben, allen Erniedrigungen und Anfeindungen zum Trotz.
    «Haithabu», murmelte Odo.
    Ein Schauer der Erregung lief ihm bei dem Klang des Wortes über den Rücken. Es klang weich und angenehm, beinahe friedvoll. Daher erinnerte es ihn unweigerlich an eine Stadt, deren Name ebenfalls über die große Sünderin hinwegtäuschte – an die große Hure Babylon.
    Er rief sich die Worte aus der Offenbarung ins Gedächtnis:
Gefallen, gefallen ist Babylon, die Große, und ist eine Behausung der Dämonen geworden und ein Gefängnis aller unreinen Geister und ein Gefängnis aller unreinen und verhassten Vögel. Denn von dem Zorneswein ihrer Hurerei haben alle Völker getrunken   … Wehe, wehe, du große Stadt Babylon, du gewaltige Stadt, in einer Stunde ist dein Gericht gekommen!
    War Haithabu das Babylon des Nordens?
    Odo blieb abrupt stehen. «Haithabu», murmelte er noch einmal.
    Dann traf er eine Entscheidung. Er würde in diese Stadt reisen, um dort die göttlichste aller göttlichen Prophezeiungen zu erfüllen – so, wie das Weltengericht in dem Buch vorhergesagt wurde.
    Odo war schon auf dem Weg zu seinem Pferd, als ihm noch etwas einfiel. Bevor er in den barbarischen Norden ziehen würde, musste er noch einmal zurück zu Adamnanus.Er hatte in der Kirche etwas vergessen, was aus ihm, dem einfachen Mönch, einen Priester machen würde.
    Den Priester und Rächer Odo von Lutetia   – Gottes Hand und Gottes Schwert!

TEIL III
Haithabu
    Sommer 863
     
    Und der dritte Engel goss seine Schale aus in die Flüsse
    und in die Wasserbrunnen,
    und sie wurden zu Blut.
     
    Offenbarung des Johannes 16, 4

1.
    Ein beißender Gestank lag über der Stadt.
    Die Ausdünstungen von Aas, Exkrementen und altem Fisch hüllten Menschen, Tiere und Gebäude in eine, übelriechende Wolke. Seit Wochen schon brannte die Sonne auf die schilfgedeckten Dächer und heizte die Räume auf wie Schwitzhütten. Die Läuse gediehen prächtig. Brunnen versiegten; der Bach, der sich durch die Siedlung zog, war nur noch ein dreckiges Rinnsal, eine Kloake.
    Dennoch zog es immer mehr Menschen in die Stadt, die in den vergangenen Jahren aufgeblüht und mit mehr als eintausend Bewohnern inzwischen völlig übervölkert war. Die Menschen kamen, weil Haithabu das Tor zur Welt im Norden war. Es lag im Binnenland, am südlichen Ende eines Fjords, den die Dänen Slien nannten. Diese flussartige Meeresbucht erstreckte sich von der Küste zwanzig Meilen in das Landesinnere. Vor wenigen Jahrzehnten noch war Haithabu eine unbedeutende Siedlung gewesen. Als aber der inzwischen verstorbene Dänenkönig Göttrik die Vorteile des Standorts erkannte, ließ er die Siedlung ausbauen. Die Bedeutung der Stadt beruhte vor allem auf der günstigen Landverbindung zwischen der Bucht und dem schiffbaren Flüsschen Treene, das in das nördliche Meer mündete. Auf diesem Weg konnten Händler aus aller Welt in kurzer Zeit ihre Waren auf Ochsenkarren über eine Landstraße an das Nordmeer transportierten. Eine Passage über das Skagerrak an der Nordspitze des dänischen Reiches dauerte weitaus länger.
    Die wachsende und florierende Stadt lockte viele

Weitere Kostenlose Bücher