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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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teilnehmen?», wollte sie wissen. Sie ließ den mit einer Specksteinscheibe beschwerten Holzstab sinken, mit dem sie ihre letzte Schafwolle zu einem Faden spann.
    «Vier oder fünf, je nachdem, wo sie alle herkommen», sagte Einar mit schwerer Stimme. «Vielleicht auch sechs oder sieben. Ich weiß es nicht.»
    Gullweig sah ein, dass es keinen Zweck hatte, sich weiter mit Einar zu unterhalten. Sie brachte ihm einen Becher lauwarmes Wasser, den er gierig leerte. Dann schleppte er sich in die Schlafkammer, die sich zwischen Werkstatt und Küche befand. Erschöpft ließ er sich auf das mit Reisig und Tierfellen gepolsterte Bett fallen. Bevor der Schlaf ihn übermannte, forderte er Helgi noch auf, ihn zu wecken, sobald die Sonne unterging.
    Helgi kehrte in die Werkstatt zurück. Er öffnete die Lade des schmalen Fensters. Draußen, auf dem Weg, unterhielten sich mehrere Nachbarn. Sie trugen festliche Kleider. Ihre Häuser hatten sie mit Stierhörnern und Birkenzweigen geschmückt.
    Heute war der längste Tag des Jahres, an dem man das Mittsommerfest feierte.
    Helgi rückte einen Schemel vor dem Fenster zurecht, nahm sein Schnitzmesser zur Hand und machte sich an einer kleinen Figur zu schaffen, die er aus einem Stück Eibenholz fertigte. Die Puppe sollte Freyja darstellen, die Göttin der Schönheit und der Liebe.
    Gullweig schaute von ihrer Spindel auf. «Willst du nicht auch zum Mittsommerfest gehen? Ich sorge schon dafür, dass Einar nicht verschläft.»
    Helgi schüttelte den Kopf. «Hab keine Lust», sagte er knapp.
    Gullweig seufzte. «Willst du wieder den Abend damit vertun, auf Gizurs Haus zu starren?»
    Helgi zuckte zusammen. Woher wusste sie, dass er das Nachbarhaus beobachtete? «Und wenn schon», entgegnete er.
    Gullweig legte Spindel und Wolle auf ihrem Schoß ab und fragte: «Was schnitzt du denn da überhaupt?»
    «Eine Figur.»
    «Das sehe ich selber. Was für eine ist es denn?»
    «Sie ist   … sie ist für ein neues Hnefataflspiel», log Helgi.
    «Hm», machte Gullweig. «Du hast lange keine Partie mehr mit deinem Freund Ingvar gespielt.»
    Dann erhob sie sich und nahm ihm die angefangene Figur aus der Hand. «Sie sieht nicht gerade aus wie ein Hnefi, ein König.»
    Gullweig hielt die Figur gegen das Licht. «Es scheint vielmehr eine Frau zu werden. Vielleicht Freyja?»
    Helgi konnte seiner Mutter nichts vormachen. Deshalb schwieg er lieber.
    «Ich wusste gar nicht, dass man Hnefatafl mit Freyja spielt», sagte Gullweig. Belustigt gab sie ihrem Sohn die Figur zurück.
    «Macht man ja auch nicht», brummte Helgi.
    Gullweig nickte wissend. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. «Geh zum Mittsommerfest und trink ein paar Becher Met.»
    «Ich habe keine Lust.»
    «Aber dann lernst du vielleicht endlich mal wieder ein nettes Mädchen kennen. So eine wie Mardöll. Die ist doch gar nicht übel.»
    «Mardöll!» Helgi verdrehte die Augen, als er an die Tochter des Bernsteinschleifers Erik dachte. «Das Weib gackert wie ein Huhn. Gack-gack-gack. Das hält kein Mann aus.»
    Gullweig ließ nicht locker. «Aber ich hab gehört, dass Erik eine ordentliche Mitgift zahlen will, wenn jemand Mardöll heiratet. Sie ist immerhin schon fünfzehn Jahre alt, hat ein breites Becken und steht auch sonst gut imFleisch. Außerdem soll sie anständig kochen können. Das ist es schließlich, worauf es ankommt   …»
    «Nein», unterbrach Helgi seine Mutter. «Mit diesem Weib kann man kein ernsthaftes Wort wechseln.»
    «Ach?» Gullweig baute sich vor ihm auf, sodass ihm der Blick aus dem Fenster versperrt wurde. «Ernsthafte Worte willst du also mit einer Frau wechseln? Und warum stierst du dann jeden Abend Gizurs Sklavin hinterher? Die ist doch stumm wie ein Fisch.»
    Helgi schluckte. Er fühlte sich durchschaut. Gullweig wusste anscheinend genau, was er dachte und fühlte.
    Er wollte gerade etwas erwidern, als sich nebenan die Tür von Gizurs Schmiede öffnete. Verzweifelt betrachtete Helgi die fast fertige Figur. Er hatte sie in der Tat für die Sklavin gemacht und wollte sie ihr eigentlich unbemerkt zustecken, wenn sie heute wie jeden Abend Gizurs Haus verließ.
    Aber Gullweig machte keine Anstalten, zur Seite zu gehen. Stattdessen sagte sie streng: «Du bist siebzehn Jahre alt, Helgi. Aber du hast weder Frau noch Kinder.»
    Helgi beugte sich zur Seite, um an Gullweig vorbei aus dem Fenster zu sehen. Alles, was er jedoch von der Sklavin erkennen konnte, waren ihre zerschlissene Tunika und der Eimer, den sie trug. Dann

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