Das Buch der Sünden
Holzladen. Gedämpfte Stimmen waren zu hören. Die Soldaten waren mit den Vorbereitungen für die Abreise beschäftigt. Lautlos schlich Odo an dem Gebäude vorbei. Er schloss die Pforte hinter sich und hängte den Schlüssel in der Pförtnerwohnung an den Haken.
Als er sich dem Pilgerweg zuwenden wollte, vernahm er das Schnauben eines Pferdes. Da kam ihm eine Idee. Leise lief er zum Gästehaus, in dem die Legaten wohnten, trat ganz dicht an die Tür heran und legte lauschend sein Ohr dagegen. Nichts regte sich dahinter. Die Gesandten hielten sich vermutlich bei ihren Soldaten in der Schule auf. Odo grinste. Sie machten es ihm leicht, eines ihrer Pferde zu nehmen. Er sattelte das Tier und führte es zum Weg. Dort saß er auf, beugte sich über den Kopf des Pferdes und flüsterte ihm ins Ohr: «Lauf, mein Freund, lauf nach Norden! Führe mich zu den Dämonen.»
8.
Das Land stand in voller Blüte, als Odo an einem Frühlingstag im Jahre des Herrn 862 die Hammaburg erreichte.
Die von einem hohen Palisadenzaun geschützte Burg befand sich hoch im Norden des vom ostfränkischen König Ludwig regierten Sachsenlandes. Ihren Namen verdankte die Burg der Lage auf einer schmalen Landzunge, einer
ham.
Sie war umgeben von Moorwiesen und Sümpfen sowie einem träge dahinfließenden, gewaltigen Strom, der Elbe.
Odo hatte schreckliche Dinge gehört über diesen Ort, der wie Paris im Jahre 845 von den Normannen eingenommen worden war. Es hieß, die Angreifer seien damals mit einer unglaublichen Flotte von 600 Schiffen über die Hammaburg hergefallen. Die meisten Bewohner wurden getötet, die Stadt ausgeplündert und niedergebrannt. Mittlerweile jedoch, siebzehn Jahre später, waren die Spuren des Überfalls auf den ersten Blick nicht mehr zu erkennen. Die Kaufleute, Handwerker und Händler hatten ihre Flechtwerkhütten, Grubenhäuser und Marktbuden längst wieder aufgebaut. Auf dem Fischmarkt herrschte dichtes Gedränge und lautes Geschrei. Im Hafen lagen Dutzende Schiffe aus aller Welt an den Landebrücken; dicht an dicht schaukelten ihre Masten.
Odo fragte sich bis zur Kirche durch.
Als er zu dem Gotteshaus kam, sah er, dass die Spuren des Barbarenangriffs doch noch deutlich zu sehen waren. Einst war die Hammaburg der Sitz des Bischofs und Nordmissionars Ansgar gewesen. Nach dem Normannenüberfallhatte der Gottesmann diesen Sitz jedoch an den weiter westlich gelegenen Fluss Weser verlegt, in die sumpfige Siedlung Brema. Das bischöfliche Langhaus auf der Hammaburg war von den Heiden niedergebrannt worden. Man hatte die Ruine abgerissen und den Platz mit Wohnhäusern überbaut. Zwischen die neuen Gebäude duckte sich eine jämmerliche Kirche, die kaum mehr war als eine Hütte mit schiefen Wänden und undichtem Dach und einem morschen Holzkreuz, das vor der Hütte im Erdboden steckte.
Beim Anblick dieser Kirche, die ihren Namen nicht verdiente, lief Odo ein Schauer über den Rücken. Offensichtlich hatten die Christen ihre Zuflucht in der Hammaburg dem Verfall preisgegeben.
Odo betrat die Hütte. Durch Löcher im Strohdach und Ritzen in den Holzwänden pfiff der Wind ein Klagelied. Auf einem Dreibein kauerte mit hängenden Schultern ein zahnloser Mann. Er blickte Odo aus Augen an, die so müde zu sein schienen, als schliefe er im nächsten Augenblick für immer ein. Doch dann hellte sich seine Miene plötzlich auf, als er in Odo einen Mann Gottes erkannte. Er öffnete den Mund zur Begrüßung, spuckte aber anstatt der Worte nur Blut aus, das er sich mit dem Ärmel seiner Kutte vom Mund wischte.
Erst beim zweiten Anlauf konnte er sich vorstellen; er hieß Adamnanus.
Odo schlug das Kreuz über dem Priester. Der bemitleidenswerte Mann war ein Sinnbild für den Zustand des Christentums auf Erden, das immer mehr unter den Einfluss des Teufels geriet.
Ein Lächeln legte sich über Adamnanus’ Gesicht, als Odo sich zu ihm setzte. Vorsichtig befragte er ihn nachdem Bischof Ansgar, denn dieser Mann hatte viele Nordländer bereist und galt als Kenner der Barbaren. Wenn jemand wusste, wo der Teufel zu suchen war, dann der Missionar, das hoffte Odo zumindest.
Doch Adamnanus musste ihn enttäuschen. «Man hat Ansgar seit vielen Jahren nicht mehr auf der Hammaburg gesehen», sagte der Alte. «Er ist zwar noch immer der Bischof unserer vereinigten Diözese, zu der Brema und die Hammaburg gehören. Aber viele Menschen hier glauben, er liegt bereits auf dem Sterbebett.»
«Und was denkt Ihr?», warf Odo ein.
Adamnanus runzelte die
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