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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Gesichter.
    Der Dieb hielt sich noch immer vom Treiben fern. Offensichtlich hatte er nun ein Opfer erspäht.
    Odo beobachtete ihn und dachte dabei: Es ist ein Gesetz des Teufels, dass der Schwache sich immer am noch Schwächeren vergreift.
    Grein näherte sich einem steinalten Mann, der, das bärtige Kinn auf einen Gehstock gelehnt, auf einem umgestürzten Baumstamm hockte, von wo aus er mit müdem Blick die feiernde Menge beobachtete. Grein ließ sich neben dem Alten nieder und betrachtete eingehend dessen Kleidung. Besonders die Schuhe schienen Greins Interessegeweckt zu haben, denn er konnte seinen Blick gar nicht mehr davon abwenden.
    Plötzlich verstummten die Gesänge. Die Tänzer und Feuerspringer hielten inne. Die Trinker ließen ihre Hörner sinken und leckten sich verschütteten Wein aus den Bärten.
    Da trat der Krieger, der sich Egil der Bluttrinker genannt hatte, vor die Menge und rief mit donnernder Stimme: «Der Wettbewerb ist entschieden! Und hier kommt Er! Er – der große Hovi!»
    Eine gedrungene Gestalt, die in einen roten Umhang gehüllt war, bewegte sich steifbeinig auf einen hölzernen Thron zu, den man unweit des Feuers aufgestellt hatte. Das Gesicht war nicht zu erkennen. Es war durch eine silberglänzende Maske verdeckt. Auf dem polierten Silber spiegelten sich die Flammen wider. Auf Höhe der Augen war die Maske mit Sehschlitzen, im Nasen- und Mundbereich mit kleinen Öffnungen versehen.
    Alle Blicke waren auf die Gestalt gerichtet, bei der es sich um den Jarl Hovi handelte. Er wurde von schwerbewaffneten Kriegern begleitet. Den Männern folgten drei halbnackte Mädchen. Viele der männlichen Festbesucher bekamen bei dem Anblick der Mädchen große Augen. Die drei standen in der Blüte ihres Lebens. Ihre Brüste waren prall und fest, ihre Gesichter von anmutiger, unverbrauchter Schönheit. Jedes der Mädchen hatte eine andere Haarfarbe: Eines war rot, eines blond und eines schwarz.
    Hovi bestieg von zwei Kriegern gestützt den Thron. Die Mädchen ließen sich zu den Füßen des Jarls nieder, umarmten seine Beine und küssten seine Lederstiefel. Da winkte Hovi Egil heran.
    Nachdem sie einige Worte gewechselt hatten, verkündeteEgil: «Gleich wird Er durch mich verkünden lassen, wer den Wettbewerb gewonnen hat – und wessen Waffen von den mutigsten und den besten aller Krieger in die Schlacht geführt werden.»
    Der Bluttrinker glotzte beifallheischend in die Menge. «Noch bevor der nächste Sommer beginnt, wird der große Hovi wieder in den Krieg ziehen. Um die Schmach zu tilgen, die unser unsterblicher Führer vor drei Wintern erlitten hat. Um mit reicher Beute zurückzukehren! Um zu siegen! Alle erwachsenen Männer, die dem großen Hovi folgen, werden einen Platz an Seiner und an Odins Seite erhalten. In der Walhall!»
    «Walhall!», riefen die Krieger. «Walhall! Hovi – wir folgen dir!»
    Auch einige Bauern und Handwerker stimmten in die Rufe ein. Aber die meisten einfachen Leute steckten die Köpfe zusammen und begannen zu tuscheln.
    Das bemerkte auch Egil und hob zu einer neuen Rede an. In diesem Moment sah Odo, wie der Dieb den auf den Stock gestützten Alten in den Wald geleitete.
    Er sprang auf und folgte den beiden.

6.
    Am nördlichen Rande der Siedlung, unweit des Nordsüdwegs, hatte sich eine Müllhalde gebildet. In dem Maße, in dem die Bevölkerung von Haithabu wuchs, stieg auch die Menge des Unrats an, der mittlerweile ein ernsthaftes Problem darstellte.
    Eine Zeit lang hatten die Bewohner ihre Nahrungsreste oder ausgemusterten Haushaltsgegenstände einfachin den Graben und in die Brunnen hinter ihren Häusern geworfen. Oder sie hatten sie in den See gekippt, der mit dem Fjord durch eine schmale Durchfahrt verbunden war und von den Dänen
noor
genannt wurde. Doch der Hafen wurde von immer mehr Schiffen angelaufen. Man hatte eine Landebrücke nach der anderen errichten müssen, um dem regen Handelsverkehr gerecht zu werden. Allerdings war das Ufergewässer durch den ganzen Müll an vielen Stellen zu flach geworden. Also hatte man die Sachen wieder herausgeholt und damit begonnen, alles Überflüssige auf einer Wiese zu sammeln.
    Diese Halde zog immer wieder diejenigen Menschen an, die in den Abfällen nach Verwertbarem suchten. Hier gab es leere Fässer, in denen man schlafen konnte, und Bretter, um ein kleines Feuer zu entzünden. Natürlich gab es auch Nahrungsreste, wenn sie nicht zu sehr verschimmelt waren. Oder man konnte fette Ratten fangen, die einst mit

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