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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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hatte den Birkenzweig befestigt, obwohl Odo es den Brüdern verboten hatte, jegliche heidnische Symbolik zu verwenden. Fehlte nur noch, dass Arculf demnächst Ochsen- oder Stierhörner an die Kirche nagelte! Aber all dies zeigte Odo wieder einmal, dass die Macht der Dämonen immer größer wurde.
    Er bekreuzigte sich und verschwand in der Dunkelheit.

5.
    Grein hatte noch immer nicht genug.
    Odo entdeckte den Dieb wie erwartet am Rande der Wiese, auf der die Götzenanbeter ihr heidnisches Mittsommerfest feierten. Der Platz lag auf einem von Buchen und Eichen umgebenen Hügel, etwa auf halber Strecke zwischen Kirche und Hafenstadt. Die Bewohner Haithabus bezeichneten diesen Hügel als Hochburg. Denn lange bevor die Stadt entstanden war, hatte sich hier angeblich ein Lager befunden, das von einem Steinwall umgeben war. Heutzutage wurde dieser Platz nur noch für heidnische Feiern und Wehrübungen genutzt.
    Der Priester hatte den Waldpfad verlassen. Im Schutz der Bäume näherte er sich dem Festplatz. Am Fuß einer Eiche hockte er sich nieder und betrachtete aus sicherer Entfernung das Treiben, mit dem die Ungläubigen die kürzeste Nacht des Jahres feierten.
    Diese verfluchten Heiden!
    Sie tummelten sich auf dem Platz. Einige Hundert Menschen waren zu der Feier gekommen. Einfache Männer und Frauen, Bauern und Handwerker, aber auch der Adel, reich geschmückte Kaufleute und bewaffnete Krieger. In der Mitte des Platzes hatte man trockenes Holz hoch aufgeschichtet; an der Spitze steckte eine mit Blumen geschmückte Birke.
    Beim Anblick des Holzhaufens, der beinahe so hoch war wie die umstehenden Bäume, musste Odo an das Osterfeuer in seiner Heimatstadt Paris denken, an dem er vor nunmehr achtzehn Jahren vorbeigekommen war, kurz bevor   …
    Nein! Er verbot sich die Erinnerung an die Ereignisse. Lange genug hatten diese Gedanken ihn gequält; sie hatten ihm den Schlaf geraubt und beinahe auch seine Seele.
    Odo tastete nach dem Lederbeutel. Er spürte die Kiste. Es beruhigte ihn, das Buch bei sich zu wissen.
    Auf dem Festplatz hatten sich die Heiden inzwischen um den Holzhaufen versammelt. Odo behielt Grein im Blick. Der Dieb hatte sich etwas abseits der Menge postiert. Vermutlich suchte er ein Opfer, das er bestehlen konnte.
    Mit einem Mal schleppte einer der Dänenkrieger eine Leiter herbei und lehnte sie gegen den Holzhaufen. Der Mann war von kräftiger Statur. Sein Gesicht war durch eine lange Narbe verunstaltet. Sie zog sich von der rechten Wange über die schiefe Nase und das linke Auge bis zur Schläfe. Um die Schultern trug er einen Umhang aus Leinen.
    Ein anderer Krieger, ein glatzköpfiger Hüne, trat herbei und schüttete aus einer Flasche eine klare Flüssigkeit über den Umhang. Dann ließ sich das Narbengesicht eine brennende Lampe geben und erklomm damit die Leiter.
    Ein Raunen ging durch die Menge, als der Krieger oben angekommen war. Er hielt die Lampe an das Holz, das sogleich zu brennen begann. Knisternd schossen die Flammen an der Birke empor. Der Platz wurde in ein gespenstisch flackerndes Licht getaucht.
    Der Krieger, der noch immer auf der obersten Sprosse stand, drehte sich zu den anderen um, breitete die Arme aus und rief: «Thor! Gott des Donners! Gott des Feuers! Sohn des Odin! Bruder des Baldur, Gott des Lichts! Ich, Egil Blóðsimlir, der Bluttrinker, spreche zu dir. Wir feiern mit dir den Sieg über Dunkelheit und Tod.»
    Plötzlich zuckte im Rücken des Kriegers eine Stichflamme auf. Sein Umhang hatte Feuer gefangen. Genau darauf schien er gewartet zu haben. Mit einem gewaltigen Satz sprang er von der Leiter, einen Feuerschweif hinter sich herziehend, direkt in die Menschenmenge. Die Menschen brüllten, als der Krieger beim Aufprall einige der Feiernden mit sich zu Boden riss. Schmerzensschreie mischten sich in den Jubel.
    Doch kurz darauf grölte die Menge wieder vor Begeisterung. Man zerrte dem Krieger den brennenden Umhang vom Leibe. Dem Narbengesicht wurde ein Trinkhorn gereicht, das er in einem Zuge leerte.
    Das Volk tobte. Das Fest hatte begonnen!
    Man rollte Fässer herbei, schlug Löcher hinein, aus denen Wein, Met und Bier in Strömen flossen. Die durstige Menge füllte ihre Trinkgefäße, labte sich an den Quellen geistiger Umnachtung. Überall auf dem Platz wurden jetzt weitere Holzhaufen entzündet. Junge, von den Getränken berauschte Kerle zogen sich halbnackt aus. Sie sprangen, angefeuert von Mädchen, johlend durch die Flammen und schwärzten sich mit Kohle die

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