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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Handvoll Körner schüttete.
    Die alte Frau nahm keine Notiz von ihrem Sohn und begann die Mühle zu drehen. Grobkörniges Mehl rieselte zwischen den Steinen hervor und sammelte sich auf einem gegerbten Ziegenfell, das auf dem Boden ausgebreitet war.
    «Weißt du, was das hier wird?», fragte Gullweig, ohne sich zu Helgi umzudrehen.
    «Mehl für ein Brot, nehme ich an.»
    Seine Mutter hielt inne. «Natürlich wird das ein Brot», erwiderte sie missmutig. «Aber keines, das euch schmecken wird.»
    Helgi fuhr sich müde mit der Hand übers Gesicht. «Und was willst du damit sagen, Mutter?»
    «Eicheln», stieß sie hervor. «Ich muss mittlerweile drei Teile Eicheln auf einen Teil Mehl nehmen, um ein Brot zubacken, mit dem ich euch wenigstens halbwegs satt bekomme. Ihr fresst wie die Pferde, aber ihr verdient nicht so viel Geld, als dass man damit Fliegen ernähren könnte.»
    Helgi war mit einem Schlag hellwach. «Willst du damit etwa sagen, dass Einar den Wettbewerb verloren hat?»
    Gullweig wandte sich zu ihm um. «Ich weiß es nicht. Als dein Vater vorhin zurückkam, war er viel zu betrunken. Er brachte kein klares Wort heraus, sondern fiel einfach um, genauso, wie du ihn vorgefunden hast.»
    Sie kehrte mit den Händen das Mehl zusammen, streute es in eine Schüssel und schüttete aus einem Eimer Wasser hinzu. Anschließend knetete sie die Masse, bis daraus ein zäher, klebriger Teig entstand. Dann öffnete sie die Luke des kuppelförmigen Lehmofens und prüfte mit der Hand die Hitze. Offensichtlich war er noch nicht heiß genug. Daher machte Gullweig sich daran, zunächst einen weiteren Teig herzustellen.
    «Wir haben kein Wasser mehr», sagte sie, während sie den Mühlstein betätigte. «Mach dich nützlich und hol neues.»
    Helgi griff nach dem Eimer, um damit zum Brunnen hinterm Haus zu gehen.
    «Der Brunnen ist versiegt», rief Gullweig ihn zurück.
    «Schon wieder? Wir haben ihn doch gerade erst aufgefüllt.»
    «Die Sonne trocknet ihn schneller aus, als wir das Wasser verbrauchen können.»
    Helgi nahm noch einen zweiten Eimer und verließ das Haus durch den Hintereingang. Er würde zur Quelle im Wald gehen müssen.
     
    Ihr Grundstück war von dem Nachbarhaus, in dem Gizur mit seiner Frau Herkia lebte, durch einen hüfthohen Weidenzaun getrennt. An diesem Morgen drang kein einziges Geräusch aus Gizurs Haus. Kein Hämmern, kein Schreien, kein Fluchen.
    Die Sklavin hielt sich nur am Tage bei ihren Herren auf. Es hieß, Herkia dulde das Mädchen nicht in ihrer Nähe, weil sie eifersüchtig sei. Da sie nicht sprach, hatte man das Mädchen Rúna genannt, was Geheimnis bedeutete. Ob sie allerdings wirklich stumm war, konnte niemand sagen. Vielleicht
wollte
sie einfach nicht sprechen.
    Rúna kam jeden Tag am frühen Morgen zur Arbeit in Gizurs Haus. Vor Einbruch der Dunkelheit ging sie zurück zu den Baracken, die sich außerhalb der Stadt befanden. Das Sklavenviertel bestand aus vier verfallenen Häusern, die von der Außenwelt durch einen hohen Holzzaun abgeschirmt waren.
    Vorsorglich hatte Helgi an diesem Morgen die Freyjafigur mitgenommen. Sollte er Rúna auf dem Weg zur Quelle begegnen, wollte er ihr die Puppe schenken – auch gegen den Rat seiner Mutter.
     
    Helgi schlenderte durch die Gassen des Handwerkerviertels.
    Um ihn herum erwachte das Leben. Frauen traten aus den Türen der Wohnhäuser und schütteten die stinkenden Inhalte der Nachttöpfe in die durch Planken- oder Weidenzäune abgetrennten Vorgärten. Aus den Gebäuden drang Kindergeschrei, hier und da arbeitete bereits ein Metallgießer, Flickschuster oder Kammmacher in seiner Werkstatt.
    Am Ende der Gasse begegnete Helgi Björn Fiskari, derauf dem Weg zu seinem Boot war. Der Fischer schloss gerade die Tür zu seinem Haus, das an dem schmalen Bach stand, der das südliche Ende der Stadt markierte. Björn hatte ein grobmaschiges Netz und einige Hechtangeln bei sich.
    Als Björn Helgi bemerkte, rief er ihn zu sich. «Deine Mutter schuldet mir noch das Geld für die Heringe.»
    Helgi runzelte die Stirn. «Ich kann mich nicht daran erinnern, wann es bei uns zuletzt Fisch gegeben hat.»
    «Kein Wunder, das ist bereits zur Saatzeit gewesen – also vor mehr als drei Monden. Deine Mutter hatte einen Eimer Heringe bestellt und ihn auch bekommen.»
    Helgi nickte nachdenklich. «Warum hat sie die Fische nicht bezahlt?»
    «Das musst du Gullweig selbst fragen», erwiderte Björn. «Auf jeden Fall will ich mein Geld. Sonst muss ich die Sache Hovi

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