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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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und bekam seinen Mantel zu fassen. Grein schlug um sich, um sich loszureißen. Da packte ihn eine kräftige Hand und riss seinen Kopf zurück. Grein spürte etwas Weiches, Feuchtes in seinem Gesicht. Er wollte schreien, doch plötzlich bekam er ein Gefühl, als könne er fliegen; er fühlte sich leicht und schwerelos.
    Dann fiel er in ein tiefes, schwarzes Loch.

7.
    Odo wickelte den Schwamm wieder in den Lederlappen, damit die kostbaren Zutaten sich nicht an der Luft verflüchtigten. Er hatte die Zubereitung von Schlafschwämmen bereits vor langer Zeit in Saint Geneviève von einem Bruder gelernt, der auf seinen Reisen bis ans Mittelländische Meer gekommen war, wo er die Zutaten erstanden hatte. Aufmerksam hatte Odo damals dabei zugeschaut, wie der Bruder ein Mittel herstellte, mit dem er Schwämmetränkte. Es bestand aus dem Saft einer Alraunenwurzel, kombiniert mit Teilen von Tollkirsche und Bilsenkraut sowie einem Gift, das man Opium nannte. Diese Zutaten hatte Odo auf dem Markt von Haithabu gekauft, auf dem Händler aus aller Welt ihre Waren anboten.
    Er hievte den bewusstlosen Grein auf seine Schulter und schleppte ihn zu einem riesigen, jenseits der Stadt gelegenen Baum. Dort zog er sein Opfer bis auf die Haut aus, fesselte und knebelte es und legte anschließend die Gerätschaften bereit.
    Er entzündete eine Kerze, schlug das in Schweinsleder gebundene Buch auf und blätterte darin, bis er die richtige Seite gefunden hatte.
    AVARITIA!
    O ja! Odo wurde von einer angenehmen Wärme erfüllt. Er las den Text immer wieder, bis ein Stöhnen ihm verriet, dass der Sünder zu sich kam. Odo wartete, bis Grein die Augen aufschlug, und hielt ihm dann das Messer vor die Augen. Der Dieb blähte die Nasenflügel und keuchte hinter dem Knebel; sein Blick war von Angst erfüllt.
    Odo gab sich zu erkennen, damit der Dämon ihm ins Gesicht sehen konnte. Als er den Umhang vom Kopf nahm, wich die Angst aus dem Gesicht des Sünders. In seiner Miene spiegelte sich nun eine Mischung aus Überraschung und der Hoffnung auf Überleben.
    Grein schaute Odo flehend an. Dieser Anblick versetzte Odo einen heftigen Stich. Seine Hand, in der er das Messer hielt, begann heftig zu zittern. Natürlich war Grein vom Dämon der Sünde Habsucht besessen. Aber er war auch ein menschliches Wesen, das lebte und atmete. Ein Wesen, das vielleicht sogar in der Lage war, seine Sünden zu bereuen und dem Verderber zu entsagen   …
    Nein! Odo schüttelte heftig den Kopf und unterbrach seine eigenen verwirrenden Gedanken.
    Er durfte seinen Gefühlen nicht nachgeben. Der Dämon war in diesen Körper gefahren, und der Verderber, der Vater aller Sünden, hatte sich der Seele dieses Mannes bemächtigt.
    Odo würde mit diesem Opfer keinen Menschen töten – er würde einen Dämon vernichten!
    Er beugte sich tief über Greins Gesicht und sagte mit sanfter Stimme: «Du bist besessen, mein Sohn – besessen vom Dämon Habgier. Er ist es, der dich zu dem gemacht hat, was du geworden bist. Du bist nicht zufrieden mit den Schuhen, die du besitzt. Du bist nicht zufrieden mit dem Essen, das ich dir gegeben habe. Du kannst das, was du hast, nicht genießen. Du musst mehr haben, immer mehr.»
    Grein versuchte etwas zu sagen, doch der Knebel ließ ihn nur ein unverständliches Grunzen produzieren.
    Odo schüttelte den Kopf. Er schlug das Kreuz über dem Sünder und machte sich ans Werk.
    Eine sanfte Brise wehte vom Hafen herüber. Im Baum wisperten die Blätter. Irgendwo über dem Noor kreischte eine Möwe. Die Luft roch nach Brackwasser, Unrat und Blütenpollen.
    Das war der Duft des Sommers in Haithabu.
    Odo summte eine Melodie, und sie begleitete Greins Todeskampf, während das Blut bis auf den letzten Tropfen aus seinem sterbenden Körper floss.
    Und mit jedem vergossenen Blutstropfen starb ein Stück des Dämons.
    Avaritia – vergehe!

8.
    Einar stank nach Met und Bier.
    Helgi rümpfte die Nase, als er sich über seinen Vater beugte. Der Schmied lag rücklings auf dem Bett, voll bekleidet mit Mantel und Schuhen. Er schnarchte wie ein Wildschwein.
    Es war früher Morgen. Durch den Spalt zwischen dem oberen Ende der Wand und der schrägen Dachkonstruktion sickerte das erste Tageslicht in den Schlafraum.
    Helgi streckte seine Glieder. Er zog Tunika und Hemd über und ging in die Küche, in der Gullweig vor der Kornmühle hockte. Sie bestand aus zwei übereinanderliegenden runden Steinen. In den oberen war ein kreisrundes Loch eingelassen, in das Gullweig eine

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