Das Buch der Sünden
ohne sich umzudrehen.
Helgi blieb abwartend in der Tür stehen. Der Tonfall seines Vaters verhieß nichts Gutes.
Einar klimperte mit einem Lederbeutel. «Silbermünzen. Ein halbes Dutzend. Olaf hat mir eine Anzahlung gegeben.»
Helgis Miene hellte sich auf. «Das ist doch wunderbar. Dann können wir neues Met kaufen und endlich wieder einmal etwas Gutes zu essen. Björn hat bestimmt einen fetten Hecht gefangen, den wir …»
Einar schüttelte den Kopf. «Nein, keinen Hecht. Unsere Eisenvorräte gehen zur Neige. Wir müssen so schnell wiemöglich neue Barren kaufen. Aber es gibt kaum noch Eisen, weder in Haithabu noch in der Umgebung. Das war es, was Olaf mir mitteilen musste. Und deshalb hat er mir das Geld gegeben. Wegen der starken Nachfrage sind die Preise gestiegen. Aus Schweden kommt kaum noch Nachschub, und im dänischen Reich rüsten sich viele Kriegsherren für das nächste Jahr. Es heißt, eine große Flotte soll gegen England ziehen.»
Einar seufzte schwer. «Wir können froh sein, wenn wir überhaupt noch so viel Material auftreiben können, dass wir damit bis in den Herbst kommen.»
«Wo willst du das Eisen kaufen?»
Einar wiegte den Kopf hin und her. «In Sliesthorp. Olaf meinte, in Högirs Eisenhütte könnte es noch Restbestände geben.»
Helgi hatte seinen Vater in den vergangenen Jahren einige Male zu der Handwerkersiedlung begleitet. Sie lag nördlich von Haithabu, am Ufer des Fjords. Man benötigte etwa einen halben Tag, um Sliesthorp zu erreichen.
«Wir können morgen früh aufbrechen», schlug Helgi vor.
Einar schüttelte den Kopf. «Das ist zu spät. Olaf muss auch die anderen Schmiede in Haithabu informieren. Wahrscheinlich sitzt er jetzt drüben bei Gizur. Wenn der Kryppa sich ebenfalls mit Eisen eindeckt, kauft er uns womöglich den letzten Barren vor der Nase weg. Wir werden uns sofort auf den Weg machen.»
«Sofort?», rief Helgi entsetzt. «Das ist unmöglich.»
Einar warf seinem Sohn einen schiefen Blick zu. «Was soll das heißen? Willst du deinen alten Vater im Stich lassen?»
«Aber du bist doch auch sonst ohne mich …»
«Nein! Dieses Mal geht das nicht. Die Zeit drängt, und du bist jung und stark. Ich brauche deine Hilfe. Gullweig soll uns Brot und Zwiebeln einpacken.»
Einar zog seine Lederschürze aus und hängte sie an den Haken. Dann ging er hinaus, um den einrädrigen Handkarren zu holen. Mit dem Gefährt, dessen Rad quietschte, würden sie das Eisen über das unwegsame Gelände transportieren.
Helgi blieb wie erstarrt in der Schmiede zurück. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Die Sklavin. Die Brücke. Das geheime Treffen am Abend. Eben noch schien alles klar gewesen zu sein. Doch von einem Augenblick auf den anderen drohte das Vorhaben zu scheitern. Was würde Rúna denken, wenn Helgi nicht an der Brücke erschien? Sie würde glauben, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wolle.
Helgi musste einen Ausweg finden, um hierbleiben zu können. Er hatte kein gutes Gefühl dabei, seinen Vater zu hintergehen. Aber der Alte würde Helgis Grund niemals akzeptieren. Die Arbeit ging bei ihm immer vor. Außerdem war das Mädchen eine Sklavin. Verdammt nochmal!
Seine Verzweiflung und Ratlosigkeit machten Helgi wütend. Er hörte Geräusche aus der Küche und drehte sich um. Die Tür zur Schlafkammer war geöffnet. In der Küche sah er seine Mutter hantieren. Sie packte Brote und Zwiebeln in einen Beutel.
Helgi wollte die Schmiede verlassen. Er zog den Kopf ein, um sich unter dem Türrahmen zu ducken. Doch er zögerte. Er hatte eine Idee.
26.
Sie konnte nicht verstehen, welche Dinge die Männer hinter der Schmiedetür zu bereden hatten.
Rúna kniete mit blut- und schleimverschmierten Händen auf dem Küchenboden und nahm einen Fisch aus. Ihr Herr hatte heute einen großen Brachsen gekauft. Die Dänen nannten diese schleimigen Tiere
aktaumr.
Sie kosteten nicht viel, denn sie waren voller Gräten und Schuppen. Dort, wo sie herkam, gab es so viele andere Fische, dass man es sich leisten konnte, Brachsen ausschließlich als Futter für die Schweine und Rinder zu verwenden.
Die Sklavin gab sich größte Mühe, die Gräten aus dem weißen Fleisch zu lösen. Würde ihr Herr sich an einer Gräte verschlucken, würde er ihr die Schuld dafür geben. Vielleicht würde er sie erneut missbrauchen. Vielleicht würde er sie aber auch ins Gesicht schlagen. Dann müsste sie Helgi mit einem blau geschlagenen Gesicht vor die Augen treten.
Sie hörte Herkia
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