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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Dann brach ein Damm, und sie begann leise zu weinen.
    Eine Weile saßen sie schweigend unter dem Haselnussstrauch. Ein leichter Wind raschelte in den Blättern. Erst als die Nacht hereingebrochen war, nahm er seinen Arm von ihren Schultern.
    «Du musst jetzt gehen», sagte er.
    Eingehüllt in Dunkelheit, standen sie sich gegenüber.Sie versuchten in den Augen des anderen zu lesen. Dabei musste Rúna den Kopf in den Nacken legen, um zu Helgi aufzuschauen. Er strich ihr sanft über den Kopf. Dann beugte er sich zu ihr und küsste ihre Stirn.
    Sie schloss die Augen. Seine Lippen waren warm und weich.
    «Ich hole dich da raus», versprach er flüsternd.
     
    Er folgte ihrem Schatten.
    Beim Holzzaun blieb Helgi zurück und schaute durch das geöffnete Tor. Die Sklaven hatten sich auf dem Innenhof versammelt. Im Schein brennender Fackeln zählten die Wächter die geschorenen Köpfe durch. Dann scheuchten sie die Unfreien wie eine Viehherde ins Langhaus. Die Tür wurde wie immer von außen verriegelt.
    Die Aufpasser verschwanden in ihrem Gebäude neben dem Tor.
    Gedankenversunken machte Helgi sich auf den Heimweg. Er war glücklich und wütend zugleich. Glücklich, weil sie sich von ihm hatte berühren und küssen lassen; wütend, weil er nicht mit ihr zusammen sein durfte.
    Seine Mutter erwartete ihn in der Küche. Sie hatte ihre Arme über den Brüsten verschränkt und wirkte ungehalten.
    «Sieh mal einer an!» Ihre Stimme ließ Schlimmes befürchten. «Der Herr scheint ja wirklich schwer verletzt zu sein.»
    «Ich hab nur mal kurz Luft geschnappt», log Helgi und berührte vorsichtig den Kopfverband.
    «Du bist spazieren gewesen? So wie neulich? Was treibt dich nur um, dass du immer nachts durch die Wälder streifst?»
    «Mutter – ich kann tun, was ich will. Ich bin siebzehn! Ein Mann   …»
    «Nein! Ein Mann macht nicht solche Dummheiten.» Ihre Stimme wurde lauter, je mehr sie sich in ihren Ärger hineinsteigerte. Sie schien ihm kein Wort zu glauben.
    Dann sagte sie: «Du stellst der Sklavin nach.»
    «Ich   … Nein.» Er wusste nicht, was er sagen sollte. «Mein Kopf tut weh. Ich gehe jetzt ins Bett.»
    Sie versperrte ihm den Weg in die Schlafkammer. «Du hast deinen Vater im Stich gelassen. Ich habe gesehen, wie du deinen Kopf absichtlich gegen den Türbalken gestoßen hast. Aber ich habe nichts gesagt, solange dein Vater hier war. Es hätte ihm das Herz gebrochen, von seinem eigenen Sohn hintergangen zu werden.»
    Helgi senkte den Blick und scharrte mit dem Fuß Holzspäne zusammen, die auf dem Boden herumlagen.
    Gullweig war noch nicht fertig mit ihm. «Du bringst uns alle in Gefahr. Wenn herauskommt, dass du die Sklavin triffst, verliert dein Vater den Auftrag. Und euch beide wird man hart bestrafen.»
    Helgi wich ihrem Blick aus. «Ich werde sie freikaufen.»
    Gullweig starrte ihn an, als habe er den Verstand verloren. «Wovon denn, du Dummkopf?»
    «Wenn wir erst den Auftrag   …» Er brachte seinen Satz nicht zu Ende. Gullweig schlug die Hände vors Gesicht. Helgi hörte, dass sie schluchzte.
    Er berührte sie sanft an der Schulter. «Sobald es hell wird, laufe ich Einar entgegen. Das verspreche ich dir, Mutter. Er wird bestimmt in Sliesthorp bei den Eisenschmelzern übernachten. Ich helfe ihm. Dann sind wir vielleicht schon am Nachmittag wieder zurück.»
    Ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen, schüttelte Gullweigden Kopf. Helgi wollte sie trösten und strich über ihr langes weißes Haar. Doch sie schüttelte ihn ab und rannte in die Schlafkammer. Dort fand er sie auf ihrem Lager. Ihre Wangen glänzten von den Tränen. Sie schniefte.
    «Mutter», sagte er, «ich bringe ihn dir morgen zurück. Ihn und seine Eisenbarren. Dann können wir den Auftrag zu Ende bringen.»
    Sie schaute ihn traurig an. «Ich habe den Kryppa gesehen. Er hat auch seinen Handkarren hervorgeholt.»
    «Gizur?» Helgis Stimme überschlug sich. «Wann?»
    «Kurz nachdem Einar aufgebrochen ist.»
    Helgi fiel ein, dass Olaf auch zu der anderen Schmiede gegangen war.
    «Einar wird früher bei den Eisenschmelzern gewesen sein», sagte er. «Er bekommt das Eisen.»
    Gullweig ließ die Schultern hängen. «Das ist es nicht.»
    «Was denn?»
    «Ich habe Angst um ihn. Der Kryppa ist gefährlich.» Sie pustete die Trankerze aus und legte sich hin, ohne sich zu entkleiden.
    Helgi lauschte auf ihre Atemzüge. Sie tat so, als würde sie schlafen.
    «Ich bringe dir deinen Mann zurück», flüsterte er in die Dunkelheit. «Das schwöre ich dir,

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