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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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gehorchen!»
    Dann ließ er sie abrupt wieder los. «Ich habe noch was zu erledigen. Mach die Alte sauber! Den Fisch essen wir morgen.»
    Kurz darauf hörte sie ihn in der Schmiede poltern. Die Tür knallte zu. Er hatte das Haus verlassen.
    Sie betrachtete das Küchenfenster, durch das sie das Rindenstück zum Nachbargrundstück hinübergeworfen hatte. Ihr Herr hatte noch etwas zu erledigen. Den ganzen Abend? Wo wollte er hin?
    Sie atmete auf. Er würde nicht da sein, wenn sie nachher zur Brücke gehen würde. Das war das Wichtigste.
    Sie fütterte Herkia mit Getreidebrei, säuberte die Windeln und wusch anschließend Schüsseln und Löffel ab.Draußen dämmerte es allmählich. Als sie das Haus verlassen wollte, fiel ihr Blick in der Küche auf die Kiste, in der ihr Herr die Zutaten für den Trank aufbewahrte.
    Sie klappte den Deckel auf. Ein unangenehmer Geruch schlug ihr entgegen. In der Kiste befanden sich getrocknete Pilze und verschiedene Kräuter. Bilsenkraut war eines davon. Diese Pflanze war eine gefährliche Medizin. In ihrer Heimat wurden mit diesem Kraut viele körperliche Gebrechen behandelt. Die Samen wurden bei Husten oder Magenschmerzen angewandt. Ein mit Mehl oder Graupen vermischter Bilsenkrautsaft half gegen Ohrenleiden oder Fußentzündungen. Aber man tötete auch Ratten und Mäuse damit. Es gab Fischer, die mit einem Sud aus Bilsenkraut ihre Köder bestrichen, um damit die Fische zu betäuben. Und wenn ein Mensch zu viel davon zu sich nahm, trieb es ihn in den Wahnsinn.
    Sie stellte die Kiste zurück und ging zu der alten Frau. Sie schlief, doch ihre Lippen bewegten sich. Sie atmete stoßweise und stieß dabei Laute aus, die eher nach einem Tier als nach einem Menschen klangen.
    Die arme Frau ist wahnsinnig, dachte Rúna.

27.
    Helgi war nicht da.
    Zwei Weiber kippten von der Brücke aus Eimer voller Fäkalien in den Bach. Lauthals beschwerten sie sich dabei über die Kloake, zu der das Gewässer immer mehr verkomme. Das sei wegen der Trockenheit und die komme von den Göttern, weil sie nicht wollten, dass ihre Männer in den Krieg zögen   …
    Als sie die Sklavin bemerkten, verstummten sie und gingen in die Stadt zurück.
    Rúna blieb auf der Brücke stehen. Am Horizont glühten die Strahlen der untergehenden Sonne.
    Die Sklavin beschloss zu warten. In einem der Häuser wurde eine Tür geöffnet. Eines der alten Weiber trat heraus, um mit einem Reisigbesen den Vorhof zu fegen. Immer wieder blickte sie verstohlen zu der Unfreien hinüber. Herrenlose Sklaven, die sich in der Stadt herumtrieben, waren immer verdächtig.
    Rúna konnte nicht länger hierbleiben. Enttäuscht setzte sie ihren Weg zum Sklavenviertel fort. Doch als sie an einer Reihe dichter Haselnusssträucher vorbeikam, hörte sie jemanden leise ihren Namen rufen.
    Ihr Herz begann vor Aufregung zu trommeln.
    «Rúna!»
    Sie blieb stehen.
    Die Baracken waren noch etwa zweihundert Schritte entfernt. Jederzeit konnte einer der Wächter vor das Tor treten.
    «Rúna – hierher!»
    Die Sträucher raschelten.
    Sie schaute sich um. Beim Sklavenviertel war niemand zu sehen, auch auf dem Weg nicht, der von der Stadt hierher führte.
    Schnell sprang sie in das Gebüsch.
    «Hierher!»
    Er war es. Seine Stimme lotste die Sklavin durch das dichte Buschwerk. Dann tauchte er mit einem Mal lächelnd vor ihr auf. Er sah merkwürdig aus. Sein Kopf war bandagiert. Unter dem Tuch schauten seine schwarzen Haare hervor.
    Grinsend tippte er sich an die Stirn. «Ich bin gegen den Türrahmen gestoßen. Die Häuser sind zu klein für mich.»
    Er reichte ihr seine Hand. Zögernd streckte sie ihm ihre entgegen. Er führte sie hinter einen Haselnussstrauch, wo sie sich mit dem Rücken an die Zweige gelehnt niederließen. Er hielt noch immer ihre Hand, und sie hockten eine Weile still nebeneinander.
    Die Luft duftete nach Gräsern und Blumen. Grillen zirpten. Eine Möwe kreischte. Der Himmel verdunkelte sich.
    Sag doch etwas, dachte sie. Ich kann es nicht. Oder doch?
    An seiner Seite fühlte sie sich geborgen. Ein angenehmer Schauer fuhr durch ihren Körper. Sollte sie   …
    Sie öffnete die Lippen, um sich dafür zu entschuldigen, dass sie sein Geschenk abgewiesen hatte. Doch aus ihrem Mund kam nur ein Krächzen.
    Er wandte ihr sein Gesicht zu. «Du bist nicht stumm», sagte er.
    Es klang wie eine Frage, aber es sollte eine Feststellung sein.
    Als ihre Augen sich mit Tränen füllten, legte er einen Arm um ihre Schultern. Sie bettete ihren Kopf an seine Wange.

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