Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
Vom Netzwerk:
dachte an gestern Nacht, an Helgi. Sie hatte es genossen, mit ihm zusammen zu sein.
    Ein polterndes Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Dann hörte sie die Stimme ihres Herrn. Er rief nach ihr, nein, er brüllte.
    Rúna befürchtete das Schlimmste. Schnell säuberte sie ihre Hände und eilte in die Werkstatt.
    Er hockte auf dem Boden, inmitten von Dutzenden Eisenbarren, die um ihn herum verstreut waren. Er wandte ihr sein Gesicht zu, griff plötzlich nach einem der Barren und schleuderte ihn gegen die Wand.
    «Die gehören alle mir», brüllte er. «Hörst du! Gehören alle mir! Mir allein. Ich hab sie geholt. Bin mit dem Karren durch den Wald. Verfluchter Weg, überall Mücken. Glaubst du, ich mache einen solchen Weg umsonst und lasse mir die Barren wegnehmen? Nein! Ich nicht. Das ist alles meins!»
    Gizur griff nach einem weiteren Barren und holte aus. Im letzten Moment erkannte Rúna, dass er damit in ihre Richtung zielte. Gerade noch rechtzeitig konnte sie den Kopf einziehen. Das Eisen sauste über sie hinweg und prallte gegen die halb geöffnete Tür. Der Schmied lachte dröhnend.
    Sie hatte Todesangst. Sie durfte sich nicht gegen ihren Herrn wehren. Wenn sie sich ihm verweigerte oder gar die Hand gegen ihn erhob, würde er sie töten, und niemand würde ihr beistehen.
    Der Schmied rappelte sich auf und kam schwankend auf die Beine.
    «Du», zischte er. «Du gehörst mir! Niemand anderes darf dich haben. Alles gehört mir! Das Eisen! Der Auftrag! Das Geld!»
    Er wankte wie ein Halm im Wind. «Bald bin ich reich», rief er. «Dann kaufe ich mir noch zwei von deiner Sorte. Ich kann so viele Weiber haben, wie ich will. Frisches Fleisch. Niemand lacht mehr über mich.»
    Er kam auf sie zu. Sein Gesicht war rot und aufgequollen von unzähligen Mückenstichen.
    Die Sklavin trat einen Schritt zurück. Sie wusste, dasssie das nicht durfte, aber sie konnte nichts dagegen tun. Ihre Beine bewegten sich wie von selbst.
    «Bleib stehen», brüllte er. «Du gehörst mir!»
    Seine Hand schoss vor, griff jedoch ins Leere. Die Sklavin war unter ihr weggetaucht. Jetzt war alles zu spät. Sie hatte sich ihrem Herrn entzogen und somit ein schweres Verbrechen begangen. Er schrie nach seiner Lederpeitsche und drohte, sie damit totzuschlagen.
    Rúna rannte an ihm vorbei, riss die Haustür auf und sprang auf die Straße. Es gab kein Zurück mehr.
    Es dämmerte bereits. Hinter ihr, in der Schmiede, war das Brüllen ihres Herrn zu hören. Er schleuderte die Barren gegen die Wände und schrie nach ihr.
Rúna! Rúna!
    Oh, wie sehr sie diesen Namen hasste.
    Sie knallte die Tür ins Schloss, entdeckte im Vorhof ein leeres Fass und rollte es vor die Tür, um sie damit zu blockieren. Ihr Herr würde einige Zeit brauchen, um sich aus dem Haus zu befreien.
    Sie schaute sich verzweifelt um. Die Gasse war menschenleer. Niemand kümmerte sich um den Lärm. Es war nichts Außergewöhnliches, wenn der Schmied brüllte. Jetzt rüttelte er von innen an der Tür.
    Sie musste fort. Aber wo sollte sie hin? Zu Helgi? Sie würde ihn in Lebensgefahr bringen, wenn man sie bei ihm fände. Nein, das durfte sie nicht riskieren. Oder doch?
    Sie näherte sich dem Nachbargrundstück. Vor dem Eingang stand ein Handkarren. Sie trat noch dichter heran und hörte plötzlich ein Geräusch, das wie ein leises Schluchzen klang. Hinter dem Weidenzaun hockte jemand auf dem Boden.
    Es war Helgi. Er hatte die Knie angezogen und umklammerteseine Beine. Sie konnte sein Gesicht nicht erkennen, sein Kopf war tief gesenkt. Er weinte.
    Für einen Augenblick vergaß sie die Gefahr und wollte zu ihm gehen, um ihn zu trösten. Niemals hätte sie gedacht, dass ein so starker Mann weinen könnte. Etwas Schreckliches musste geschehen sein. Sie stand neben dem Weidenzaun, nur eine Armeslänge von ihm entfernt. Sein Körper zitterte, als würde er frieren. Sie streckte die Hand aus, um ihn zu berühren. Da fiel ihr Blick auf den Karren, und sie verstand. Zunächst sah sie die Beine, die von der Ladefläche herabhingen, dann den Kopf des Schmieds. Helgis Vater.
    Im Schädel klaffte eine offene Wunde.
    Ihr Herz verkrampfte sich. Sie zog die Hand zurück und ging rasch am Nachbarhaus vorbei. Ihre Schritte wurden immer schneller. Sie erreichte die Brücke und kurz darauf das Tor zum Sklavenviertel.
    Wohin hätte sie sonst gehen sollen?

30.
    Die Werkstatt roch nach kaltem Rauch und verbranntem Eisen. Und nach dem Schweiß ihrer Arbeit. Es war still und finster. Nirgendwo brannte eine

Weitere Kostenlose Bücher