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Das Buch der Sünden

Das Buch der Sünden

Titel: Das Buch der Sünden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel S. Meyer
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Tranlampe, das Essefeuer war verloschen.
    Helgi tastete sich vor und hielt eine Hand über die Esse. Die Kohlen waren noch warm. Er stieß einen Schürhaken hinein, die unterste Kohleschicht glimmte. Er entzündete einen trockenen Birkenholzspan an der Glut und hielt ihn an eine Tranlampe, bis eine kleine Flamme emporzüngelte.
    Die Werkzeuge lagen dort, wo sie immer lagen. Hämmer, Spachtel, Meißel, Zangen. Einars Lederschürze hing an einem Haken an der Wand, daneben Helgis Schürze. So wie immer.
    Für einen Moment glaubte Helgi, er hätte sich alles nur eingebildet. Gleich würde die Tür aufgehen und sein Vater käme herein. Er würde die Schürze abnehmen, sich um den Hals hängen und die Lederbänder auf dem Rücken verknoten. Helgi konnte ihn vor sich sehen, den schmalen, drahtigen Mann. Seine hellen Haare, die Schweißtropfen, die auf seiner Stirn perlten, wenn er den Hammer schwang. Seine Züge waren verhärmt, gezeichnet von einem Leben, das aus harter Arbeit bestand.
    Aber er kam nicht. Er würde niemals mehr kommen. Er lag auf dem Karren vor dem Haus, und er war tot.
    Mit der Lampe in der Hand trat Helgi in die Schlafkammer. Das Licht fiel auf das weiße Gesicht seiner Mutter. Sie saß aufrecht auf dem Lager, bekleidet mit ihrer schlichten Tagestunika. Ein Blick in ihre Augen, und Helgi war sofort klar, dass sie Bescheid wusste.
    Er hatte ihr niemals etwas vormachen können.
    Ihre Lippen öffneten sich. «Hast du mir meinen Mann gebracht?»
    Helgi nickte stumm.
    «Ich werde ihn waschen. Er braucht neue Kleidung. Die anstrengende Reise. Er wird geschwitzt haben.»
    «Mutter   …»
    Gullweig legte einen Finger an ihre Lippen. «Hol ihn jetzt.»
    Helgi gehorchte. Nachdem er Einars Leiche in die Schlafkammer getragen hatte, begann Gullweig sich umzuziehen. Sie schlüpfte aus ihrer grauen Tunika.
    «Leg ihn dort hin.» Sie deutete auf seinen Schlafplatz.
    Aus einer Truhe nahm sie ein Kleid. Der Stoff war mit Walnusssud rotbraun gefärbt und mit einem bunten Blumenmuster verziert, die Ränder mit Stickereien besetzt. Sie zog das Kleid an und befestigte die Schulterträger mit glänzenden Silberspangen, die durch eine feingliedrige Kette miteinander verbunden waren.
    Helgi hatte seine Mutter niemals zuvor in diesem prächtigen Aufzug gesehen.
    «Ich habe das Kleid nur ein einziges Mal getragen», sagte sie. «Am Tag unserer Hochzeit. Wenn Einar den Auftrag verloren hätte, hätte ich es verkaufen müssen.»
    Sie ließ ihr weißes Haar über ihre Schultern fallen, legte sich neben Einar auf das Lager und schmiegte sich an den kalten Körper.
    «Komm zu uns», flüsterte sie und streckte ihre Hand nach Helgi aus.
    Sie lagen zu dritt nebeneinander. Der steife Einar in der Mitte, Gullweig an seiner linken und ihr Sohn an seiner rechten Seite.
    Helgi glaubte, seine Mutter wäre eingeschlafen. Doch nach einer Weile hörte er ihre Stimme. Sie summte leise eine Melodie.
    Die Stimme beruhigte ihn. Seine Gedanken wanderten zurück. Acht oder neun war er gewesen. Er hatte sich geprügelt. Drei gegen einen. Es waren derbe Bauernburschen gewesen, älter als er. Sie waren auf Streit aus, schimpften ihn einen
bastarðr,
einen Bastard, der keine Eltern habe, weil er schwarze Haare hatte, seine Eltern aber beide blond waren. Sein Brustkorb ging in die Breite, seine Oberarmmuskeln wölbten sich. Bastarðr! Helgi griff sie an. Verprügelte die Knaben nach Strich und Faden. Einer verlormehrere Zähne, einem anderen brach er den Arm. Die Bauernburschen hatten ihn niemals wieder beschimpft. Als er dann abends auf seinem Lager gelegen hatte, hatte er seine Mutter gefragt, warum er so anders aussehe als sie und Vater. Da strich sie ihm durch die schwarzen Haare und sagte: «Du bist unser Kind, unser Junge.»
    Dann hatte sie die Melodie gesummt, und er war eingeschlafen.
     
    Er erwachte schweißgebadet.
    Sein Vater lag neben ihm. Auf der anderen Seite schlief Gullweig. Er hörte ihre gleichmäßigen Atemzüge und schaute, auf die Ellenbogen gestützt, zu ihr hinüber. Sie hielt Einars kalte Hand. Auf ihrem Gesicht lag ein friedlicher Ausdruck.
    Helgi fühlte sich noch immer erschöpft. Aber das, was jetzt zu tun war, duldete keinen Aufschub. Er schlich mit der Lampe in die Werkstatt.
    In der Truhe fand er, was er brauchte: eine Streitaxt, die Einar für den Jarl geschmiedet hatte. Ihr Stiel war drei Fuß lang, der eiserne Kopf unzerstörbar. Eine tödliche Waffe.
    Am wolkenlosen Nachthimmel hing der Mond und leuchtete ihm den Weg

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