Das Buch der Toten
permanenten Verschönerungsmaßnahmen«, rissen sie schon seit Jahren die Straßen auf, womit immer wieder Geschäfte in den Ruin getrieben und, soweit Milo das beurteilen konnte, außer endlosen Erdaufschüttungen und Gräben keine sichtbaren Resultate erzielt wurden. Im vergangenen Jahr war in West Hollywood eine funkelnagelneue Feuerwache eingeweiht worden. Wieder so ein architektonisches »Juwel«, mit Türmchen und Furchen, seltsam geformten Fenstern und anderen Spielereien. Ganz hübsch, nur hatten sich die Türen als zu eng für die Löschfahrzeuge erwiesen, und an den Stangen konnten die Feuerwehrleute nicht herunterrutschen. In diesem Jahr war West Hollywood eine Städtepartnerschaft mit Havanna eingegangen. Milo hatte ernsthafte Zweifel, dass das Nachtleben in Boystown den Geschmack des máximo líder, Fidel Castro, treffen würde.
Zu den wenigen Geschäften, die sich durch die Straßenbauarbeiten nicht unterkriegen ließen, gehörten die 24- Stunden-Super-Märkte und die Schwulenbars. Auf zwei Dinge konnten die Leute nicht verzichten: aufs Essen und auf ihr Vergnügen. Milo und Rick gingen selten aus, wie lange war es her, dass er auf die Pirsch gegangen war? Und hier war er nun.
Er merkte, dass er lächelte, doch es war ein Gefühl, als sei es ein anderer, der sich amüsierte. Denn worüber konnte er sich schon großartig freuen? Pierce Schwinn oder sein Komplize hatte ihn auf manipulative Weise dazu gebracht, sich wieder mit dem Ingalls-Fall zu beschäftigen, und bis jetzt hatte er nichts erreicht, hatte die Sache lediglich in einer Hinsicht gründlich verbockt:
Er war aufgefallen.
Playa del Sol. Dieser grinsende Idiot Paris Bartlett. Nachdem Milo sich Alex vom Hals geschafft hatte, machte er sich zuallererst daran, das Handelsregister der Stadt nach einem Eintrag für Playa del Sol durchzusehen. Nichts. Dann suchte er in allen ihm bekannten Datenbanken nach dem Namen Paris Bartlett. Als ob irgendjemand tatsächlich so heißen könnte. Er ging ein gewaltiges Risiko ein, denn es stimmte, was er Alex gesagt hatte: Im Zivilleben war es ihm untersagt, die Informationsquellen des Departments zu nutzen; er bewegte sich also ein gutes Stück jenseits der Grenze der Legalität. Allerdings hatte er Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und sich bei seinen Anfragen der Kennnummern anderer Polizeibeamter bedient. Insgesamt ein halbes Dutzend, die Nummern von Cops, die er sowieso nicht sonderlich gut leiden konnte; dabei hatte er willkürlich zwischen den verschiedenen Abteilungen gewechselt. Das war seine Version von Identitätsdiebstahl, der illegalen Verwendung personenbezogener Daten. Seit Jahren sammelte er heimlich Daten und verstaute die losen Papiere zu Hause in seinem Safe - denn man wusste ja nie, wann man einmal mit dem Rücken zur Wand stehen würde. Aber wenn irgendjemand sich genug Mühe gab, konnten die Anfragen immer noch zu ihm zurückverfolgt werden.
Kluges Bürschchen, aber die Suche war ergebnislos geblieben: Ein Paris Bartlett war nirgends verzeichnet. Das hatte er von Anfang an irgendwie geahnt. Abgesehen davon, dass der Name sich doch arg erfunden anhörte, hatte dieser Bartlett mit seinen Schmalzlocken und seinem Zahnpastalächeln und seiner übereifrigen Art eindeutig etwas von einem Schauspieler an sich. In L. A. musste das noch lange nicht heißen, dass er einen Mitgliedsausweis der Schauspielergewerkschaft und eine Mappe mit Porträtstudien mit sich herumtrug. Auch beim LAPD hatte man etwas übrig für Leute, die Theater spielen konnten. Man setzte sie mit Vorliebe für Undercover-Aktivitäten ein. Dieser Tage bedeutete das zumeist Drogenfahndung, dann und wann auch mal die Sitte, wenn wieder einmal von oben die Anweisung kam, zu PR-Zwecken ein oder zwei Wochen lang Razzien im Rotlichtmilieu durchzuziehen.
Vor Jahren war die Undercover-Arbeit bei der Sitte noch ein ganz anderes Spiel gewesen, eine regelmäßig stattfindende Wochenendveranstaltung: Jeden Freitag und Samstagabend gab es irgendwo eine mit militärischer Begeisterung geplante und durchgeführte Operation. Ziele wurden abgesteckt, der Feind identifiziert, dann wurde zur Attacke geblasen. Homos hochnehmen hieß das Spiel.
Keine offene Aggression, wie es sie vor Christopher Street 1969 gegeben hatte, als die Schwulenbars noch für die regelmäßig dort stattfindenden brutalen Prügeleien berüchtigt gewesen waren. Das war Anfang der siebziger Jahre schon fast kein Thema mehr gewesen, aber die letzten Ausläufer der sanktionierten
Weitere Kostenlose Bücher