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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Vater und Willie Burns' Abtauchen gesprochen hatte. Durch seine Kautionsagentur hatte Nemerov enge Verbindungen zum Department. Wenn John G. Broussard in Manipulationen verwickelt war, dann hatte das Department natürlich ein Interesse an der Sache.
    Eine dritte Möglichkeit war, dass Milos Solounternehmungen im Fall Janie Ingalls Aufmerksamkeit erregt hatten. Soweit ich wusste, hatten sie sich auf Telefonate und das Ausgraben alter Akten beschränkt. Aber er hatte im Revier West L. A. gearbeitet und sich im Parker Center herumgeschlichen.
    Er hatte geglaubt, diskret vorzugehen, aber es war möglich, dass er kritische Blicke auf sich gezogen hatte, von Angestellten, von anderen Cops, von allen, die Zeugen seiner Schnüffeleien geworden waren. John G. Broussard hatte unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass ihm daran gelegen war, für eine straffere Disziplin in der Truppe zu sorgen. Und der neue Polizeichef hatte auch dem traditionellen Ehrenkodex der Uniformierten den Kampf angesagt, nach dem eine Krähe der anderen kein Auge aushackte. Eine schöne Ironie. Vielleicht entsprach es ja dem Zeitgeist im LAPD, dass Cops ihre Kollegen verrieten.
    Je länger ich darüber nachdachte, desto einleuchtender erschien es mir: Milo war ein Profi, aber einiges hatte er einfach nicht bedacht. Faktisch war er doch kaltgestellt worden. Das brachte mich auf den Gedanken, wie verwundbar er immer noch war. Zwanzig Jahre im Department, mit einer der höchs ten Aufklärungsraten in der Mordkommission, aber das war nicht genug, es würde nie genug sein.
    Zwei Jahrzehnte lang hatte er als Schwuler in einer paramilitärischen Organisation funktioniert, die nie ganz frei von tief sitzenden Vorurteilen sein würde und in der die Existenz von homosexuellen Polizisten immer noch nicht offen anerkannt wurde. Ich wusste jeder wusste, dass zig schwule Beamte in der Stadt ihren Dienst versahen, aber nicht ein Einziger von ihnen hatte sich je öffentlich dazu bekannt. Auch Milo nicht, jedenfalls nicht direkt; doch nach den ersten grausamen Jahren der Selbstquälerei hatte er es immerhin aufgegeben, sich zu verstecken.
    Die Statistiker des Departments verbuchten seine Ermittlungserfolge dankbar auf der Habenseite, doch der Apparat behinderte weiterhin seinen Aufstieg und unternahm in regelmäßigen Abständen den Versuch, ihn ganz loszuwerden. Milo hatte selbst im Laufe der Zeit so manches Geheimnis mitbekommen und seinen Einfluss dazu genutzt, sich relativ weit oben in der Hierarchie seinen Platz zu sichern und ihn zu verteidigen. Zweimal hatte er das Angebot abgelehnt, die Prüfung zum Lieutenant abzulegen, denn er wusste, dass das Department in Wahrheit beabsichtigte, ihn auf irgendeinen Schreibtischposten abzuschieben, wo sie ihn getrost ignorieren konnten und wo ihm zugleich die Langeweile so zusetzen würde, dass er irgendwann freiwillig den Dienst quittieren würde. Stattdessen war er auf der Detective-Schiene geblieben und hatte in diesem Bereich die Aufstiegschancen bereits voll ausgeschöpft, bis zum Dienstgrad Detective III.
    Vielleicht hatte Pierce Schwinn das alles mitverfolgt, und es hatte ihm Respekt abgenötigt, wie Milo sich selbst treu geblieben war. Und so hatte er ihm ein bizarres Geschenk überreicht. Normalerweise brachte nichts Milos Blut so in Wallung wie ein interessanter »kalter« Fall. Aber dies hier war eine aufgewärmte Geschichte aus seiner eigenen Vergangenheit, und vielleicht war er nicht vorsichtig genug gewesen und hatte sich selbst in die Rolle des Gejagten manövr iert.
    Ich dachte daran, wie Paris Bartlett zielstrebig auf Milo zugesteuert war und mich völlig ignoriert hatte. Das bedeutete, dass ich einen gewissen Handlungsspielraum hatte. Das Timing war perfekt, die Logik vom Feinsten: Wozu hatte man schließlich Freunde?

21
    Endlich allein. Milo saß an seinem popeligen kleinen pissfarbenen Schreibtisch; im Hintergrund stampfte die Waschmaschine, die er angeworfen hatte, um ein bisschen Hintergrundmusik zu haben, und allmählich ging es ihm besser.
    Ohne Alex ging es ihm besser.
    Denn Alex' Verstand konnte einen das Fürchten lehren, sein Gehirn war wie Fliegenpapier, alles Mögliche blieb daran hängen. Sein Freund konnte lange regungslos dasitzen und einen glauben machen, dass er zuhörte, aktiv zuhörte, wie sie es ihm im Psychologieseminar beigebracht hatten, um dann urplötzlich einen Schwall von Assoziationen und Hypothesen und augenscheinlich unzusammenhängenden Banalitäten loszulassen, womit

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