Das Buch der Toten
er allzu oft den Nagel genau auf den Kopf traf. Kartenhäuser, die meist allen Stürmen trotzten. Und Milo konnte nur einstecken, was da auf ihn hereinprasselte, und kam sich vor wie ein angeschlagener Sparringspartner.
Dabei setzte Alex einen ja nicht unter Druck. Er äußerte immer bloß Vermutungen. Gab Anregungen. Auch so eine Psychotaktik. Aber man musste nur mal versuchen, irgendetwas davon zu ignorieren. Milo kannte keinen klügeren und anständigeren Menschen als Alex, aber es konnte verdammt anstrengend sein, sich mit dem Kerl abzugeben. Wie viele Nächte hatte er nicht schlafen können, weil eine der Anregungen seines Freundes sich wie ein Stachel in sein Gehirn gesenkt hatte? Aber trotz seines ausgeprägten Spürsinns war Alex letztlich ein Zivilist und bewegte sich hier außerhalb seines Elements. Und in einer Hinsicht fehlte es ihm immer noch an Reife: Er hatte nie ein wirkliches Gespür für bedrohliche Situationen entwickelt.
Anfangs hatte Milo es noch auf den Leichtsinn eines übereifrigen Amateurs geschoben. Aber es hatte nicht lange gedauert, bis er den wahren Grund herausgefunden hatte: Alex war von Gefahr fasziniert.
Robin hatte das begriffen, und es machte ihr Angst. Im Laufe der Jahre hatte sie Milo ihre Befürchtungen anvertraut, eher subtile Andeutungen als offene Klagen. Und wenn sie zu dritt zusammensaßen und Alex und Milo das Gespräch in die falsche Richtung lenkten und Robins Miene sich veränderte, dann bekam Milo das sehr schnell mit und wechselte das Thema. Alex, sonst ein aufmerksamer Beobachter, merkte seltsamerweise oft nichts. Es musste Alex doch klar sein, was in Robin vorging, aber er machte keine Anstalten, etwas zu ändern. Und Robin ließ es sich gefallen. Liebe macht blind und taub und stumm… vielleicht fühlte sie sich an ein Versprechen gebunden und war im Übrigen zu klug, um zu glauben, man könne einen Menschen wirklich ändern. Aber jetzt war sie auf diese Tournee gegangen. Und hatte den Hund mitgenommen. Aus irgendeinem Grund schien das nicht richtig, der verdammte Köter. Alex behauptete, es gehe ihm gut, aber am ersten Tag, als Milo bei ihm hereingeschneit war, hatte er richtig schlecht ausgesehen, und auch jetzt war er noch längst nicht der Alte… irgendwie abwesend. Irgendetwas stimmte nicht. Oder vielleicht täuschte er sich auch.
Er hatte versucht, Alex' Widerstand ein bisschen zu erschüttern. Hatte versucht, den Seelendoktor selbst auf die Couch zu legen und warum auch nicht? Wie konnte man von einer echten Freundschaft reden, wenn die Therapie nur in eine Richtung funktionierte? Aber er hatte keinen Erfolg gehabt. Alex beherrschte den Jargon Offenheit, Kommunikation, bla bla bla, aber auf seine eigene beredte, einfühlsame, ach so kultivierte Weise war der Typ derart starr und unbeweglich, dass es einen zur Verzweiflung treiben konnte.
Wenn er so darüber nachdachte, hatte Alex sich eigentlich je von irgendetwas abhalten lassen? Milo konnte sich nicht erinnern, dass das jemals der Fall gewesen war. Alex machte genau das, was Alex wollte.
Und Robin… Milo hatte mit Engelszungen auf sie eingeredet, um sie zu beschwichtigen. Und er nahm an, dass er es so weit ganz gut hinbekommen hatte, Alex von den größten Gefahren fern zu halten. Aber es gab Grenzen. Jeder war letztlich allein.
Milo stand auf, goss sich einen Wodka ein und füllte ihn mit rosa Grapefruitsaft auf, mit dem vorgeschobenen Argument, dass das Vitamin C der Oxidation entgegenwirken würde, aber trotzdem fragte er sich, wie sehr seine Leber inzwischen der auf dem Foto aus einer medizinischen Fachzeitschrift glich, das Rick ihm letzten Monat gezeigt hatte.
Erosion der Leberzellen und Verdrängung durch Fettglobuli auf Grund fortgeschrittener Zirrhose.
Auch Rick machte ihm nie Druck, aber Milo wusste, dass er nicht gerade glücklich war über die neue Flasche Stoli im Gefrierfach. Milo wechselte rasch das Programm, zurück zu Alex. Die Probleme anderer Leute waren viel faszinierender.
Milo ging eine halbe Meile bis zu der Autovermietung am La Cienega, wo er sich einen nagelneuen blauen Taurus besorgte. Auf dem Santa Monica Boulevard fuhr er ostwärts nach Beverly Hills und weiter bis West Hollywood. Nachdem er Doheny Drive hinter sich gelassen hatte, ließ der Verkehr nach, doch an der Grenze zu West Hollywood war der Boulevard wegen Bauarbeiten auf zwei Spuren verengt, und die wenigen Autos, die unterwegs waren, kamen nur im Schneckentempo voran.
In West Hollywood, »der Stadt der
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