Das Buch der Toten
Schwulenhatz des LAPD hatte Milo noch mitbekommen. Das Department hatte die Überfälle als Drogenrazzien kaschiert, als ob die Hetero-Bars nicht mit dem gleichen Stoff beliefert worden wären. In seinem ersten Monat in L. A. war er zu einem samstagabendlichen Feldzug gegen einen privaten Club am Sepulveda Boulevard nahe der Kreuzung zur Venice abkommandiert worden. Ein gut versteckter Laden, untergebracht in einer ehemaligen Autolackierwerkstatt, wo rund hundert gut betuchte Männer in vermeintlicher Sicherheit plauderten, tanzten, Gras rauchten, Quaalude einwarfen und sich in den Kabinen auf der Toilette vergnügten. Das LAPD hatte andere Vorstellungen von Sicherheit. So, wie der Einsatzleiter, ein Detective II und Hypermacho namens Reisan, den Milo im Verdacht hatte, ein ganz gründlich verkappter Bruder zu sein, den Plan präsentierte, hätte man meinen können, es ginge darum, ein Vietkong-Nest auszuheben. Zusammengekniffene Augen, Militärjargon, die Tafel mit Diagrammen und Skizzen vollgekritzelt, musste das sein?
Milo ließ die Einsatzbesprechung über sich ergehen, musste aufpassen, dass ihm nicht am ganzen Körper der Schweiß ausbrach, während Reisan darüber schwadronierte, dass sie die renitenten Kandidaten hart anfassen sollten und ruhig den Schlagstock einsetzen, wenn's sein muss. Und dann dieses anzügliche Grinsen, als er der Truppe einschärfte, nur ja niemanden zu küssen, da man nicht wissen könne, wo diese Lippen vorher gewesen seien. Er sah Milo direkt in die Augen, als er diesen Brüller losließ, und Milo lachte mit den anderen und fragte sich insgeheim: Warum, zum Teufel, tut er das?
Krampfhaft versuchte er, sich davon zu überzeugen, dass er sich das Ganze nur eingebildet hatte.
Am Tag der Razzia meldete er sich wegen Grippe krank und blieb drei Tage im Bett. Er war kerngesund, arbeitete aber gewissenhaft daran, sich zu ruinieren, indem er weder schlief noch aß und nur Gin und Wodka und Whiskey und Pfirsichlikör in sich hineinschüttete, alles, was die Hausbar so hergab. Wenn das Department bei ihm nachschaute, würde er aussehen wie der Tod auf Urlaub, dachte er sich.
Vietnamveteran und inzwischen ein waschechter Detective bei der Kripo, aber er dachte immer noch wie ein milchbärtiger Schulschwänzer. In den drei Tagen verlor er drei oder vier Kilo, und wenn er aufstand, zitterten seine Beine, seine Nieren schmerzten, und er fragte sich, ob dieser gelbe Film vor seinen Augen echt war oder ob es nur an dem schlechten Licht lag. Seine Wohnung war eine schäbige Bruchbude, durch die wenigen Fenster blickte man in Luftschächte, und ganz gleich, wie viele Glühbirnen er einschraubte, es blieb immer finster wie in einer Gruft.
Als er das erste Mal in drei Tagen wieder halbwegs feste Nahrung zu sich nahm, lauwarmes Chili aus der Dose, da rauschte alles, was nicht postwendend wieder hochkam, im Eiltempo durch und zum anderen Ende raus. Er stank wie eine Herde Ziegen, seine Haare fühlten sich brüchig an, und seine Fingernägel weichten auf. Noch eine ganze Woche danach hatte er Ohrensausen und Rückenschmerzen, und er trank jeden Tag eimerweise Wasser aus Angst, er könnte einen bleibenden Schaden davontragen. An dem Tag, als er wieder ins Revier kam, lag eine Versetzungsmitteilung in seinem Fach: von der Sitte zum Autodiebstahl, unterschrieben von Reisan. Das war ihm gar nicht so unrecht. Zwei Tage darauf steckte irgendwer einen Zettel unter seiner Spindtür durch: Was macht dein Spundloch, du Schwuchtel?
Milo fuhr auf das Gelände des Bio-Supermarkts, blieb im Wagen sitzen und suchte den Parkplatz mit kritischem Blick ab. Während der Fahrt vom Haus zum Polizeirevier und dann von der Autovermietung zum Supermarkt hatte er Ausschau nach eventuellen Verfolgern gehalten. Er hatte keine entdeckt, aber schließlich befand er sich nicht in einem Fernsehkrimi, und in einer Stadt, in der sich alles um den Verbrennungsmotor drehte, konnte man sich nie hundertprozentig sicher sein.
Er sah eine Weile den Leuten zu, die in den Supermarkt strömten, und als er sich schließlich sicher war, dass er nicht beschattet wurde, stieg er aus und ging hinüber zu der Reihe kleiner Läden, eigentlich nur aufgemotzte Bretterbuden, gegenüber dem Biomarkt. Ein Schlosser, eine Reinigung, ein Schuster und das West Hollywood Easy Mail Center.
Er hielt dem Pakistani hinter dem Postfachschalter seine Dienstmarke hin, nur weiter so mit den Verstößen gegen die Vorschriften, Sturgis und fragte nach der
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