Das Buch der Toten
Mordkommission was für Intellektuelle wäre, und du hattest ja schließlich einen Magisterabschluss und hast dir gedacht, he, das bin ja ich! Also sag mir bitte, findest du, dass das hier irgendwie intellektuell aussieht?« Er tippte auf ein Foto.
»Meinst du etwa, so was schafft man mit Gehirnschmalz allein?«
Er schüttelte den Kopf und zog ein Gesicht, als ob er irgendetwas Vergammeltes gegessen hätte. Dann steckte er seinen Fingernagel unter den Rand eines der Fotos und zog ihn an der Kante des Stapels entlang. Flip, flip…
Milo sagte: »Ich hab doch bloß…«
»Hast du irgendeine Ahnung, wie viele von diesen Fällen wirklich abgeschlossen werden? Diese Typen auf der Akademie haben dir wahrscheinlich erzählt, dass die Mordkommission eine Aufklärungsrate von siebzig, achtzig Prozent hat, oder? Also, das kannst du dir in die Haare schmieren. Das ist bloß der Kinderkram, Fälle die so banal sind, dass sie eigentlich hundert Prozent haben sollten; so was könnte jeder Idiot hinkriegen, also was sind da schon achtzig Prozent? Scheiße.« Er drehte den Kopf zum Fenster und spuckte hinaus. Wandte sich wieder zu Milo um. »Bei diesen Geschichten hier« flip, flip … »kannst du heilfroh sein, wenn du vier von zehn rauskriegst. Und das heißt, in der Mehrzahl der Fälle bist du der Verlierer, und der Kerl kann mit der Nächsten weitermachen, und zu dir sagt er: ›Leck mich am Arsch‹, genau wie zu ihr.«
Schwinn zog seinen Fingernagel zwischen den Fotos heraus und begann auf das oberste zu klopfen. Immer wieder landete sein plumper Zeigefinger auf der Schamgegend des toten Mädchens.
Milo merkte plötzlich, dass er die Luft anhielt, dass er sie während Schwinns gesamter Schimpftirade angehalten hatte. Seine Haut hielt die Hitze immer noch fest, und er wischte sich mit einer Hand über das Gesicht.
Schwinn lächelte. »Ich geh dir auf den Geist. Oder vielleicht jage ich dir Angst ein. Diese Handbewegung machst du nämlich nur, wenn dir was auf den Geist geht oder wenn du Angst hast.«
»Was soll das Ganze, Pierce?«
»Was das soll? Du hast gesagt, ich hätte eine ganze Menge rausgefunden, und dabei habe ich einen Scheißdreck rausgefunden.«
»Ich wollte doch bloß…«
»Verschon mich mit deinem ›bloß‹«, sagte Schwinn. »Das kann ich überhaupt nicht gebrauchen, wie überhaupt dein ganzes Geschwafel. Das hat mir gerade noch gefehlt, dass die da oben mir irgend so einen… windigen Typen auf den Hals hetzen, so einen magistergeprüften-«
»Verdammte Scheiße«, sagte Milo und ließ mit der Luft seine aufgestaute Wut entweichen. »Ich habe…«
»Du hast mich beobachtet, hast mich ausspioniert, von der ersten Minute an.«
»Ich hatte gehofft, etwas zu lernen.«
»Wozu?«, fragte Schwinn. »Um Fleißpunkte zu sammeln, damit du irgendwann einen bequemen Sesselfurzerposten in der Chefetage ergattern kannst? Junge, ich hab dich durchschaut.«
Milo merkte, wie er unwillkürlich seine Körpermasse einsetzte. Er rückte näher an Schwinn heran, sah von oben auf den dünnen Mann herab, streckte den Zeigefinger aus wie eine Waffe. »Einen Scheißdreck weißt du…«
Schwinn gab nicht nach. »Ich weiß, dass Arschlöcher mit Magisterexamen so was nicht lange machen.« Klopf, klopf. »Ich weiß, dass ich meine Zeit nicht vergeuden will, indem ich einen Mordfall zusammen mit einem Arschkriecher bearbeite, der nichts weiter im Sinn hat, als die Karriereleiter raufzuklettern. Wenn du so ehrgeizig bist, dann such dir doch irgendeinen Schleimerjob, so wie Daryl Gates es gemacht hat, als Chauffeur von Chief Parker, der Typ wird am Ende noch selber Polizeipräsident.« Klopfklopfklopf. »Das hier hilft deiner Karriere nicht weiter, Muchacho. Das ist ein ungeklärter Mordfall. Kapiert? So was wie das hier frisst dich von innen auf und scheißt dich dann in kleinen Klümpchen wieder aus.«
»Du liegst falsch«, sagte Milo. »Was mich angeht.«
»Wirklich?« Wieder das wissende Lächeln.
Aha, dachte Milo. Jetzt ist es soweit. Der Knackpunkt.
Aber Schwinn saß einfach nur da, grinste und klopfte auf das Foto.
Lange Pause. Und dann, als hätte irgendjemand ihm den Stöpsel herausgezogen, sackte der Kerl ganz plötzlich vollkommen in sich zusammen. Er sah geschlagen aus. »Du hast ja keine Ahnung, worauf du dich hier einlässt.« Er steckte die Fotos in den Umschlag zurück.
Milo dachte: Wenn du den Job so hasst, dann hör doch einfach auf, du Arschloch. Geh zwei Jahre früher in Pension und vergeude den
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