Das Buch der Toten
Janie?«
»Ja. Sie wissen schon.«
»Bringt Janie in Schwierigkeiten«, sagte Schwinn.
»Sie wissen schon«, wiederholte Ingalls. »Die Jugend von heute. Was die für Sachen machen.«
Milo fragte sich, was wohl passieren musste, damit ein Typ wie Ingalls sich entrüstete.
Schwinn sagte: »Sachen.«
»Ja.«
»Was, zum Beispiel?«
»Sie wissen schon«, wiederholte Ingalls hartnäckig.
»Schwänzen die Schule, treiben sich rum.«
»Drogen?«
Ingalls' Gesicht wurde noch blasser. »Davon weiß ich nichts.«
»Hm«, erwiderte Schwinn und machte sich eine Notiz.
»Melinda hat also einen schlechten Einfluss auf Janie, aber Sie lassen Janie bei Melinda übernachten?«
»Von lassen kann keine Rede sein«, erwiderte Ingalls hustend.
»Haben Sie Kinder?«
»Nein, das Vergnügen hatte ich nicht.«
»Darum stellen Sie auch solche Fragen. Die Kids von heute machen doch einfach, was sie wollen. Ich kann sie ja noch nicht mal dazu bringen, mir zu sagen, wohin sie geht. Oder in der Schule zu bleiben. Ich hab versucht, sie selbst hinzubringen, aber dann ist sie einfach reingegangen, und sobald ich weg war, hat sie sich verdrückt. Deshalb dachte ich auch, es wäre wegen der Schule. Worum geht's denn nun eigentlich? Hat sie was angestellt?«
»Hatten Sie früher schon mal Ärger mit Janie?«
»Nein«, antwortete Ingalls. »Nicht wirklich. Wie gesagt, bloß wegen der Schule und wegen der Herumtreiberei. Sie ist schon mal ein paar Tage nicht nach Hause gekommen. Aber sie kommt immer wieder zurück. Ich sag's Ihnen doch, Mann, die kriegen sie einfach nicht in den Griff. Seit die Hippies hier eingefallen sind und sich die Stadt unter den Nagel gerissen haben, können Sie das glatt vergessen. Ihre Mutter war auch so 'n Hippie, damals in der Hippiezeit. Hat uns sitzen lassen, die drogensüchtige Hippieschlampe, hat mich mit Janie allein gelassen.«
»Nimmt Janie Drogen?«
»Hier jedenfalls nicht«, sagte Ingalls. »So blöd ist sie auch wieder nicht.« Er blinzelte mehrmals und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, versuchte, die Nebel aus seinem Kopf zu vertreiben, ohne Erfolg. »Worum geht's denn nun? Was hat sie ausgefressen?«
Schwinn ignorierte die Frage und schrieb ungerührt weiter. Dann sagte er: »Hollywood High… in welche Klasse geht sie?«
»Die zehnte.«
»Also im zweiten Highschool-Jahr.«
Ein Nicken von Ingalls, wieder mit der eingebauten Verzögerung. Wie viele dieser Dosen hatte er an diesem Morgen wohl schon geleert?
»Zweites Jahr.« Schwinn schrieb es auf. »Wann hat sie Geburtstag?«
»Äh… im März«, sagte Ingalls. »Am… äh… am zehnten März.«
»Sie ist am zehnten März dieses Jahres sechzehn geworden.«
»Ja.«
Mit sechzehneinhalb erst im zweiten Highschool-Jahr, dachte Milo. Ein Jahr zurück. War sie vielleicht geistig ein wenig zurückgeblieben? Hatte sie Lernschwierigkeiten? Ein weiterer Faktor, durch den sie für die Rolle des Opfers prädestiniert gewesen war? Falls sie diejenige war…
Er warf einen Blick auf Schwinn, doch Schwinn war mit Schreiben beschäftigt, und so riskierte Milo selbst eine Frage:
»Janie hat wohl Probleme mit der Schule, was?«
Schwinns Augenbrauen zuckten kurz, doch er schrieb weiter.
»Sie hasst die Schule«, antwortete Ingalls. »Kann kaum richtig lesen. Darum wollte sie auch nie…« In seinen blutunterlaufenen Augen blitzte Angst auf. »Was ist denn eigentlich los? Was hat sie angestellt?«
Er sah jetzt Milo an, erwartete von ihm eine Antwort auf seine Frage, doch Milo hatte keine Lust, sich so weit aus dem Fenster zu lehnen, und so wandte Ingalls seine Aufmerksamkeit wieder Schwinn zu. »Nun rücken Sie schon raus damit, Mann. Was hat sie getan?«
»Vielleicht gar nichts«, antwortete Schwinn und zog den blauen Umschlag aus der Tasche. »Vielleicht hat man ihr etwas angetan.«
Er fächerte den Stapel Fotos auseinander, streckte die Hand aus und ließ Ingalls einen Blick darauf werfen.
»Hä?«, sagte Ingalls, ohne sich von der Stelle zu rühren. Und dann: »Nein.«
Ruhig, in unverändertem Tonfall. Milo dachte: Also schön, sie ist es nicht. Falsche Spur, gut für ihn, schlecht für uns. Sie hatten nichts erreicht, und Schwinn hatte wieder mal Recht beha lten. Wie üblich. Der aufgeblasene Wichtigtuer würde sich in seinem Triumph sonnen, der Rest der Schicht würde die reine Hölle sein Aber Schwinn hielt die Hand mit den Fotos noch immer ausgestreckt, und Bowie Ingalls starrte sie immer noch an.
»Nein«, wiederholte Ingalls. Er
Weitere Kostenlose Bücher