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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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überfiel.
    Vergebliche Mühe. Sie hatte noch nie von Janie gehört und gestand schließlich, dass sie die Stelle erst vor einem knappen Monat angetreten hatte. Als Schwinn weiterbohrte, verschwand sie kurz im Nebenraum und kehrte mit schlechten Nachrichten zurück: Keine Akte Ingalls J., weder über Beratungstermine noch über irgendwelche Disziplinarmaßnahmen.
    Das Mädchen hatte regelmäßig die Schule geschwänzt, und doch hatte das System sie nie erfasst. In einem Punkt hatte Bowie Ingalls Recht gehabt: Es kümmerte einfach niemanden, was die Schüler trieben.
    Das bedauernswerte Mädchen hatte nie einen wirklichen Halt im Leben gehabt, dachte Milo, und er erinnerte sich an seine kurze Karriere als Schulschwänzer. Damals wohnten sie in Gary, Indiana, wo sein Vater in der Stahlindustrie arbeitete. Er verdiente dort gutes Geld, durfte sich als Ernährer der Familie fühlen. Milo war neun, und seit dem Sommer litt er unter furchtbaren Träumen, Visionen von Männern. Eines trüben Montags stieg er aus dem Schulbus, und anstatt durchs Schultor zu gehen, marschierte er einfach ohne Ziel drauflos, setzte wie automatisch einen Fuß vor den anderen, bis er sich in einem Park wiederfand, wo er wie ein erschöpfter alter Mann auf eine Bank niedersank. Den ganzen Tag blieb er dort sitzen, bis ihn eine Freundin seiner Mutter erkannte und den Eltern Bescheid sagte. Mom war ratlos; Dad, immer ein Mann der Tat, wusste sofort, was zu tun war. Im Nu hatte er den Gürtel in der Hand und es war ein schwerer, öliger Stahlarbeiter-Gürtel, der leicht seine vier Kilo wog. Es dauerte sehr, sehr lange, bis Milo wieder normal sitzen konnte.
    Noch ein weiterer Grund, den Alten zu hassen. Aber er tat so etwas danach nie wieder, und er schloss die Schule mit guten Noten ab. Trotz der Träume. Und trotz allem, was danach kam. Gewiss hätte sein Vater ihn umgebracht, wenn er gewusst hätte, was tatsächlich los war. Und so hatte er mit neun Jahren schon Pläne geschmiedet: Du musst weg von diesen Leuten.
    Jetzt kam ihm ein anderer Gedanke: Vielleicht habe ich ja noch Glück gehabt.
    »Okay«, sagte Schwinn zu Ellen Sato, »Sie wissen hier also nicht viel über sie.«
    Die junge Frau war den Tränen nahe. »Es tut mir Leid, Sir, aber wie ich schon sagte, ich… Was ist eigentlich gena u passiert?«
    »Jemand hat sie ermordet«, sagte Schwinn. »Wir sind auf der Suche nach einer Freundin von ihr, wahrscheinlich auch eine Schülerin dieser Schule. Melinda heißt sie, ist sechzehn oder siebzehn. Langes, blondes Haar. Üppige Formen.« Er formte die Hände vor seiner eigenen mageren Brust zu einer anschaulichen Geste.
    Ellen Satos elfenbeinfarbener Teint verfärbte sich rosig.
    »Melinda ist ein häufiger Name.«
    »Wie wär's, wenn wir mal einen Blick auf Ihr Schülerverzeichnis werfen?«
    »Das Schülerverzeichnis…« Sie wedelte nervös mit ihren grazilen Händen. »Ich könnte ein Jahrbuch für Sie heraussuchen.«
    »Sie haben kein Schülerverzeichnis?«
    »Ich, ich weiß, dass wir Klassenlisten haben, aber die sind drüben im Büro von Mr. Sullivan, dem stellvertretenden Direktor, und es müssen Formulare ausgefüllt werden… Okay, sicher, ich sehe mal nach. Inzwischen können Sie sich schon mal die Jahrbücher anschauen, die sind gleich hier.« Sie zeigte auf einen Schrank.
    »Prima«, sagte Schwinn. Es klang alles andere als freund lich.
    »Die arme Janie«, sagte Sato. »Wer tut nur so etwas Schreckliches?«
    »Ein böser Mensch, Ma'am. Hätten Sie vielleicht eine Idee?«
    »Du lieber Gott, nein. Ich wollte nicht… Warten Sie, ich bringe Ihnen rasch die Liste.«
    Die beiden Detectives saßen im Wartezimmer der Schülerberatung und blätterten die Jahrbücher durch. Die verächtlichen Blicke der Schüler, die kamen und gingen, ignorierten sie. Sie notierten sich die Nachnamen sämtlicher Melindas mit weißer Hautfarbe, einschließlich derjenigen im ersten Highschool-Jahr, denn schließlich war es fraglich, wie weit sie sich auf Bowie Ingalls' Schätzung des Alters verlassen konnten. Auch beschränkten sie ihre Suche nicht auf Blondinen, denn unter Teenagern waren gefärbte Haare gang und gäbe.
    Milo fragte: »Was ist mit hellhäutigen Mexikanerinnen?«
    »Nix da«, entgegnete Schwinn. »Wenn sie eine Latina wäre, hätte Ingalls das sicher erwähnt.«
    »Wieso?«
    »Weil er sie nicht leiden kann; deshalb hätte er es sich nicht entgehen lassen, ihr noch einen zusätzlichen Minuspunkt anzuhängen.«
    Milo wandte sich wieder den Fotos

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