Das Buch der Toten
Plüsch-Koala, der aussah, als hätte er längere Zeit im Regen gelegen; daneben ein Softpack Kent-Zigaretten und eine halb leere Schachtel Hustenpastillen. Das kleine Zimmer war so voll gestopft, dass die Schranktür gegen die Matratze stieß und sich nicht ganz öffnen ließ. Schwinn musste sich verrenken, um einen Blick hineinwerfen zu können.
Er zuckte zusammen, kam wieder heraus und sagte zu Milo:
»Übernimm du das.«
Milos Größe machte die Aufgabe zu einer Tortur, doch er gehorchte.
Zody's war ein Billigladen, aber trotz der niedrigen Preise hatte Janie Ingalls es nur zu einer recht armseligen Garderobe gebracht. Auf dem staubigen Boden stand ein Paar Tennisschuhe, Größe 39, daneben rote Thom-McAn-Sandalen mit Plateausohlen und weiße Plastikstiefel mit durchsichtigen Plastiksohlen. Zwei Hosen, Größe S, waren unordentlich im Schrank aufgehängt, eine verwaschene Bluejeans mit Löchern, vielleicht die Folge normaler Abnutzung, vielleicht auch Absicht, und eine Patchwork-Jeans, beide made in Taiwan. Vier gerippte, eng anliegende T-Shirts mit schräg geschnittenen Ärmeln, eine Baumwollbluse mit Blumenmuster und Mottenlöchern in der Brusttasche, drei rückenfreie Oberteile aus glänzendem Polyester, nicht viel größer als das Taschentuch, das Schwinn Ingalls angeboten hatte, in Pfauenblau, Schwarz und Periweiß. Ein rotes Sweatshirt, auf dem in wulstigen goldenen Lettern die Aufschrift Hollywood prangte, eine kurze Jacke aus schwarzem Lederimitat, runzlig wie das Gesicht einer alten Frau.
Im obersten Fach lagen Slips, BHs, Strumpfhosen und noch mehr Staub. Alles stank nach Tabak. Es gab nur wenige Taschen zu durchsuchen. Außer Krümeln, Flusen und einem Kaugummipapierchen förderte Milo nichts zu Tage. So eine gesichtslose Existenz, Milo fühlte sich an seine eigene Wohnung erinnert. Seit er nach L. A. gekommen war, hatte er nicht viel Mühe darauf verwandt, sich wohnlich einzurichten, weil er sich nicht sicher gewesen war, ob er länger bleiben würde.
Er suchte den Rest des Zimmers ab. Die Poster waren noch das Persönlichste darin. Kein Tagebuch, kein Kalender, keine Fotos von Freunden. Wenn Janie dieses Loch jemals ihr Zuhause genannt hatte, dann hatte sie es sich schon längst anders überlegt. Er fragte sich, ob sie noch einen anderen Zufluchtsort gehabt hatte, eine sturmfreie Bude, einen Ort, wo sie tatsächlich Sachen aufbewahrte.
Er hob die Matratze an, fand nur Staub und ließ sie wieder fallen. Dann verließ er das Schlafzimmer.
Schwinn und Ingalls waren im vorderen Zimmer. Milo sah noch rasch im Bad nach, hielt die Luft an, um nicht den Gestank einatmen zu müssen, und durchsuchte die Hausapotheke. Alles frei verkäufliches Zeug, Schmerztabletten, Abführmittel, Medikamente gegen Durchfall und gegen Übersäuerung, von Letzteren jede Menge. Da nagte wohl irgendetwas an Bowie Ingalls' Eingeweiden. Schuldgefühle, oder bloß der Alkohol?
Milo verspürte plötzlich eine heftige Gier nach einem Drink. Als er zu Schwinn und Ingalls hineinging, saß Janies Vater zusammengesunken auf dem Sofa. Er wirkte desorientiert. »Was weiß ich denn schon?«, sagte er.
Schwinn stand abseits von Ingalls. Distanziert, er hatte keine Verwendung mehr für ihn. »Es sind noch ein paar Formalitäten zu erledigen, Sie müssen sie identifizieren und ein paar Formulare ausfüllen. Die Identifizierung hat Zeit bis nach der Obduktion. Wir werden vielleicht noch Fragen an Sie haben.«
Ingalls blickte auf. »Was für Fragen?«
Schwinn reichte Ingalls seine Karte. »Wenn Ihnen irgendetwas einfallt, rufen Sie an.«
»Ich habe Ihnen schon alles gesagt.«
Milo sagte: »Hätte Janie sonst noch irgendwo übernachten können?«
»Wie meinen Sie das?«
»So was wie eine sturmfreie Bude, wo Jugendliche sich treffen und ab und zu übernachten.«
»Ich weiß nicht, wo die Jugendlichen sich treffen. Weiß ja nicht mal, wo meine eigene Tochter hingeht, also woher soll ich so was wissen?«
»Okay, danke. Mein Beileid, Mr. Ingalls.«
Schwinn bedeutete Milo, mit ihm zur Tür zu gehen, doch als sie dort waren, drehte er sich noch einmal zu Ingalls um. »Eine Frage noch: Wie sieht Melinda aus?«
Eine ganz elementare Frage, dachte Milo, aber er war nicht auf die Idee gekommen, sie zu stellen, im Gegensatz zu Schwinn. Der aber hatte die ganze Vernehmung sorgsam inszeniert, mit Sinn fürs Timing. Der Kerl war verrückt und war ihm doch meilenweit voraus.
»Klein, mit großen Titten, stark gebaut, ein bisschen fett. Ganz
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