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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Greenberg und Jordan lagen mit Grippe im Bett, während Melinda Hohlmeister von einem Asthmaanfall außer Gefecht gesetzt worden war. Alle vier Mütter waren zu Hause, alle waren fix und fertig, als plötzlich die Polizei vor der Tür stand, doch alle ließen die Detectives eintreten. Die Elterngeneration respektierte noch die Staatsgewalt, oder fürchtete sie zumindest.
    Melinda Adams war eine winzige, platinblonde Vierzehnjährige im ersten Highschool-Jahr; sie sah aus wie elf und benahm sich auch entsprechend. Melinda Jordan war eine magere fünfzehnjährige Brünette mit einem fürchterlichen Schnupfen und schlimmer Akne. Greenberg war blond und langhaarig und einigermaßen vollbusig. Sowohl sie als auch ihre Mutter sprachen mit so starkem Akzent, dass sie kaum zu verstehen waren, sie waren erst vor kurzem aus Israel eingewandert. Das Bett des Mädchens war mit Physik und Mathebüchern übersät. Als die beiden Detectives eintraten, war sie damit beschäftigt gewesen, Stelle n mit gelbem Textmarker anzustreichen. Sie hatte keine Ahnung, wer Janie Ingalls war. Melinda Hohlmeister war ein schüchternes, pummeliges, stotterndes und hässliches Mädchen mit kurzen, korngelben Ringellöckchen, einem glatten Einser-Notendurchschnitt und deutlich pfeifendem Atem.
    Bei keiner von ihnen löste der Name Janie Ingalls irgendwelche Reaktionen aus.
    Bei Melinda Van Epps, die in einem großen und modernen weißen Haus oben in den Hügeln lebte, machte niemand die Tür auf. Eine Frau, die nebenan Blumen pflückte, teilte ihnen bereitwillig mit, dass die Familie in Europa sei, schon seit zwei Wochen. Der Vater war leitender Angestellter bei Standard Oil, und die Van Eppses nahmen alle fünf Kinder immer mal wieder aus der Schule, um mit ihnen auf Reisen zu gehen, engagierten Privatlehrer für sie, nette Leute, wirklich.
    Auch in Melinda Waters' ärmlichem Bungalow in der North Gower Street kam niemand an die Tür. Schwinn hatte laut angeklopft, weil die Klingel überklebt und mit dem Hinweis »Defekt« versehen war.
    »Okay, schreib ihnen einen Zettel«, sagte er zu Milo. »Ist wahrscheinlich auch für die Katz.«
    Als Milo eben seine Karte und den Zettel mit der Mitteilung Bitte rufen Sie uns an durch den Briefschlitz werfen wollte, wurde die Tür geöffnet. Die Frau, die vor ihnen stand, hätte eine Schwester im Geiste von Bowie Ingalls sein können, sie war in den Vierzigern, dünn, aber mit schlaffer Haut. Sie trug ein verblichenes braunes Hauskleid; ihre Gesichtsfarbe war wie Senf, ihr wasserstoffblondes Haar achtlos zurückgesteckt. Verwirrte blaue Augen, kein Makeup, rissige Lippen. Dieser verschlagene Blick.
    »Mrs. Waters?«, sagte Milo.
    »Ich bin Eileen.« Verrauchte Stimme. »Was gibt's denn?« Schwinn zeigte ihr seine Marke. »Wir möchten Melinda sprechen.«
    Eileen Waters' Kopf zuckte zurück, als hätte ihr jemand eine Ohrfeige versetzt. »Weswegen?«
    »Es geht um ihre Freundin Janie Ingalls.«
    »Ach, die«, sagte Waters. »Was hat sie denn angestellt?«
    »Jemand hat sie ermordet«, antwortete Schwinn. »Hat eine ziemliche Sauerei angerichtet. Wo ist Melinda?«
    Eileen Waters' ausgetrocknete Lippen teilten sich und gaben den Blick auf ihre schiefen, mit gelblichem Belag überzogenen Zähne frei. Bisher hatte sie sich auf ihren Argwohn als Ersatz für Würde verlassen, und jetzt, als ihr beides genommen war, ließ sie sich kraftlos gegen den Türpfosten sinken. »O Gott.«
    »Wo ist Melinda?«, fragte Schwinn herrisch.
    Waters schüttelte den Kopf, senkte ihn dann: »O Gott, o mein Gott.«
    Schwinn packte ihren Arm. Seine Stimme blieb fest. »Wo ist Melinda?«
    Wieder Kopfschütteln, und als Eileen Waters die Sprache wiederfand, war ihre Stimme die einer anderen Frau: verzagt, geläutert. In die Knie gezwungen. Sie begann zu weinen. Fing sich schließlich wieder. »Melinda ist nicht nach Hause gekommen. Ich habe sie seit Freitag nicht mehr gesehen.«

9
    Das Waters-Haus war eine Nummer besser als Bowie Ingalls' Quartier; eingerichtet mit alten, klobigen Möbeln, die aussahen, als könnten sie Erbstücke aus irgendeinem wohlanständigen Heim im Mittelwesten sein. Vergilbte Spitzendeckchen auf den Armlehnen der viel zu weichen Sessel ließen erkennen, dass früher einmal irgendjemandem solche Dinge wichtig gewesen sein mussten. Überall standen Aschenbecher herum, angefüllt mit grauem Staub und Kippen und die Luft roch rußig. Keine leeren Bierdosen, aber auf dem Küchentresen entdeckte Milo eine zu drei

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