Das Buch der Toten
Mordopfer gefunden?«
Milo sagte es ihm.
»Na bitte«, meinte Del Monte. »Fünfzehn Meilen von Bel Air. Sie vergeuden Ihre Zeit.«
»Wahrscheinlich. Also, dreihundert ausgelassen feiernde Jugendliche haben einfach klein beigegeben, als Sie aufgekreuzt sind?«
»Wir haben Erfahrung in solchen Dingen.«
»Welche Technik wenden Sie an?«, wollte Milo wissen.
»Wir gehen mit Einfühlungsvermögen ran«, antwortete der Rent-a-cop. »Wir fassen sie ganz anders an als diese Halbstarken aus Watts oder East L. A., denn diese Jugendlichen sind nun mal einen anderen Stil gewöhnt.«
»Welchen denn?«
»Sie wollen, dass man sie wichtig nimmt. Und wenn das nicht funktioniert, drohen wir damit, dass wir ihre Eltern anrufen.«
»Und wenn das auch nicht funktioniert?«
»Das funktioniert für gewöhnlich. So, jetzt muss ich aber Schluss machen. War nett, mit Ihnen zu reden.«
»Vielen Dank, dass Sie sich die Ze it genommen haben, Officer. Hören Sie mal, wenn ich bei Ihnen vorbeikommen und ein Foto herumzeigen würde, hätte ich da eine Chance, dass irgendjemand ein Gesicht wiedererkennt?«
»Wessen Gesicht?«
»Das des Opfers.«
»Das können Sie vergessen. Wie gesagt, es war wie ein Heuschreckenschwarm. Nach einer gewissen Zeit sehen die sowieso alle gleich aus.«
»Die reichen Jugendlichen?«
»Alle Jugendlichen.«
Es war schon fast zehn, und Schwinn war immer noch nicht aufgetaucht. Milo dachte sich, je früher er Del Monte und seinen Kumpels vom Wachdienst Janies Foto unter die Nase halten würde, desto besser; also schlüpfte er rasch in seine Jacke und verließ das Gebäude. Del Monte war so anständig gewesen, ihn zurückzurufen und was hatte er jetzt davon? Keine gute Tat bleibt ungesühnt.
Die Fahrt nach Bel Air dauerte fast vierzig Minuten. Das Büro des Sicherheitsdienstes war ein weißer Bungalow mit roten Dachziegeln, der etwas zurückgesetzt hinter dem westlichen Zufahrtstor stand. Rundum architektonisch durchgestylt - Milo hätte nichts dagegen gehabt, in so einem Häuschen zu wohnen. Er hatte gehört, dass die bewachten Zufahrten und die Überwachung durch private Sicherheitsdienste auf eine Initiative von Howard Hughes zurückgingen, der früher in Bel Air gewohnt hatte. Der Milliardär hatte der Polizei von Los Angeles nicht getraut.
Die Reichen kümmerten sich um ihre eigenen Belange. So war es auch bei der Party im Stone Canyon gewesen: Die Nachbarn hatten sich über den Lärm geärgert, aber alles war ohne Aufsehen geregelt worden, kein Anruf wegen nächtlicher Ruhestörung war im Revier West L. A. eingegangen.
Del Monte saß hinter der Empfangstheke, und als Milo eintrat, verzog er sein dunkles, rundes Gesicht zu einer säuerlichen Miene. Milo entschuldigte sich für die Störung und zog das Tatortfoto aus der Tasche, das er von dem Stapel in Schwinns Schreibtisch genommen hatte. Noch das am wenigsten grausige aus der Sammlung, es zeigte Janies Gesicht im Profil; nur die Würgemale am Hals waren schwach zu erkennen. Del Montes Reaktion bestand in einem flüchtigen Kopfschütteln. Zwei weitere Wachmänner tranken gerade Kaffee; sie sahen sich das Foto ein wenig genauer an, schüttelten dann aber ebenfalls die Köpfe. Milo hätte ihnen auch gerne das Foto von Melinda Waters gezeigt, aber Schwinn hatte es eingesteckt.
Er verließ das Büro des Sicherheitsdienstes und fuhr zu dem Haus am Stone Canyon Drive, in dem die Party stattgefunden hatte. Ein riesiger, dreistöckiger roter Backsteinbau im Kolonialstil, mit sechs klassischen Säulen vor der Fassade. Schwarze Doppeltür, schwarze Fensterläden, große, längs geteilte Fenster, mehrere Giebel. Milo schätzte es auf zwanzig bis fünfundzwanzig Zimmer. Die Familie Cossack war in ein geräumigeres Domizil umgezogen.
Ein riesiger ausgetrockneter Rasen und abblätternde Farbe an einigen der Fensterläden ließen vermuten, dass der Besitz nicht mehr so regelmäßig gewartet wurde, seit das Haus leer stand. Zerrupfte Hecken und Papierschnipsel auf dem mit Klinkern gepflasterten Fußweg zum Haus waren die einzigen Anzeichen dafür, dass hier eine Feier ein bisschen aus dem Ruder gelaufen war. Milo parkte den Wagen, stieg aus und sammelte ein paar der Papierfetzen auf. Er hoffte, etwas Geschriebenes zu finden, aber das Papier war weich und unbeschriftet - dickes, saugfähiges Küchenpapier. Das Tor zum Garten war verriegelt und blickdicht. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte darüber hinweg, sah einen großen, ovalen Pool, sanft
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