Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
befanden uns auf hoher See, ohne die Vorstellung von einem Hafen, in dem wir hätten Zuflucht suchen können. So wiederholen wir auf schmerzliche Art und Weise die Abenteuerformel der Argonauten: Seefahrt muß sein, Leben nicht.
Illusionslos leben wir nur im Traum, der Illusion derer, die keine Illusionen haben können. Aus uns selber lebend, vermindern wir unseren Wert, denn der vollkommene Mensch ist der Mensch, der sich nicht kennt. Ohne Glauben haben wir keine Hoffnung, und ohne Hoffnung haben wir kein wirkliches Leben. Da wir keine Vorstellung von der Zukunft haben, haben wir auch keine Vorstellung vom Heute, denn das Heute ist für den Handelnden nur ein Vorspiel der Zukunft. Unser Kampfeswille war eine Totgeburt, denn wir kamen ohne Kampfgeist auf die Welt.
Einige von uns lebten dahin in der schalen Eroberung des Alltags, gemein und niedrig auf der Jagd nach dem täglichen Brot, und sie wollten es ohne das Gefühl der Arbeit, ohne das Bewußtsein der Anstrengung, ohne den Adel des Gelingens.
Wir anderen, besser Gearteten mieden Staat und Gesellschaft, verlangten nichts und wünschten nichts und versuchten statt dessen, das Kreuz unseres bloßen Existierens auf den Kalvarienberg des Vergessens zu schleppen. Eine aussichtslose Bemühung für denjenigen, der nicht, wie der Träger des Kreuzes, einen göttlichen Ursprung in seinem Bewußtsein fühlt.
Andere haben sich extrovertiert dem Kult der Verwirrung und des Lärms ergeben und zu leben gemeint, wenn sie sich nur selber hörten, und zu lieben geglaubt, wenn sie mit den Äußerlichkeiten der Liebe zusammenprallten. Das Leben schmerzte uns, weil wir wußten, daß wir lebendig waren; das Sterben erschreckte uns nicht, denn wir hatten die normale Vorstellung vom Tod verloren.
Andere jedoch, Rasse des Endes, geistige Grenze der toten Stunde, fanden nicht einmal den Mut zur Negation und zum Asyl in sich selber. Ihr Leben verlief in Verneinung, in Unzufriedenheit und in Trostlosigkeit. Wir aber erleben es von innen, untätig, auf ewig gefangen – zumindest in der Art unserer Lebensführung – zwischen den vier Wänden unseres Zimmers und den vier Mauern unseres Unvermögens zu handeln.
307
Ästhetik der Mutlosigkeit
Da wir dem Leben keine Schönheit abzuringen vermögen, sollten wir zumindest versuchen, unserem Unvermögen Schönheit abzuringen. Verwandeln wir unser Scheitern in einen Sieg, in etwas Positives, Erhabenes, mit Säulen, Würde und unserer geistigen Zustimmung!
Auch wenn das Leben uns [nicht] mehr gegeben hat als eine Gefängniszelle, sollten wir versuchen, diese auszuschmücken, und wenn es nur mit den Schatten unserer Träume ist, ihren bunten Zeichnungen, mit denen wir unser Vergessen eingraben in die stillstehende Äußerlichkeit der Mauern.
Wie alle Träumer habe ich stets gefühlt, daß ich zum Erschaffen berufen bin. Da ich niemals vermochte, eine Anstrengung zu unternehmen oder ein Vorhaben in die Tat umzusetzen, war erschaffen für mich stets gleichbedeutend mit träumen, wollen oder sehnen und handeln mit dem Träumen vom Handeln, zu dem ich so gerne fähig gewesen wäre.
308
Meine Lebensunfähigkeit nannte ich Genie, meine Feigheit bemäntelte ich mit dem Namen Vollkommenheit. Ich hob mich – mit Falschgold vergoldeter Gott – auf einen bemalten Pappaltar, eine Marmorimitation.
Doch ich vermochte weder mich zu täuschen noch das […] meiner Selbsttäuschung.
309
Die Freude am Eigenlob …
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Regenlandschaft
Sie riecht für mich nach Kälte, nach Kummer, nach der Unmöglichkeit aller Wege und jedes geträumten Ideals.
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Frauen machen heute ein solches Aufheben um ihr Äußeres und ihr Gehabe, daß sie den schmerzlichen Eindruck von Vergänglichkeit und Unersetzlichkeit vermitteln …
Ihre […] verschönern sie so farbenprächtig, daß sie weniger Wesen aus Fleisch und Blut gleichen als einer dekorativen Zierde. Friese, Täfelungen, Gemälde – realistisch betrachtet sind sie nicht mehr als …
Das bloße Umlegen eines Schals bedarf heutzutage einer größeren, auf Wirkung bedachten Sorgfalt als früher. Ehemals war der Schal Teil der Kleidung; heute ist er ein Accessoire, das der Intuition eines rein ästhetischen Genusses entspringt.
In unserer Zeit, wo man so begierig mit allem Kunst treibt, entreißt alles dem Bewußten Blütenblätter und ergeht sich […] in ekstatischer Plänkelei.
Flüchtige aus nicht gemalten Gemälden, all diese Frauengestalten … Bisweilen zu detailliert … Manche
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