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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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Profile sind von übertriebener Schärfe, als versuchten sie unwirklich zu erscheinen, so losgelöst sind ihre reinen Linien vom Hintergrund.

310
    Meine Seele ist ein verborgenes Orchester; ich weiß nicht, welche Instrumente, Geigen und Harfen, Pauken und Trommeln es in mir spielen und dröhnen läßt. Ich kenne mich nur als Symphonie.

    Alle Anstrengung ist ein Verbrechen, denn alles Tun ist ein toter Traum.

    Deine Hände sind gefangene Tauben. Deine Lippen stumme Tauben (die kommen, vor meinen Augen zu gurren).
    All dein Tun ist ein Vogel: eine Schwalbe, wenn du dich niederläßt, ein Kondor, wenn du mich ansiehst, ein Adler, wenn du, gleichgültig Hochmütige, in Verzückung gerätst. Betrachte ich dich, sehe ich einen See rauschender Schwingen […]
    Ganz beschwingt bist du, ganz […]

    Es regnet, regnet, regnet …
    Es regnet unaufhörlich, jämmerlich […]
    Mein Körper läßt meine Seele vor Kälte zittern … Nicht vor der Kälte in der Luft, sondern der Kälte, die beim Anblick des Regens aufkommt …

    Alles Vergnügen ist Laster, denn Vergnügen suchen alle im Leben, und das einzig wirklich verwerfliche Laster ist, zu tun, was alle tun.

311
    Zuweilen schnürt mir, ohne daß ich es erwartet hätte oder erwarten müßte, das Erstickende des Gewöhnlichen die Kehle zu, und ich verspüre körperlichen Ekel vor der Stimme, den Gesten meiner sogenannten Mitmenschen. Unmittelbaren körperlichen Ekel, unmittelbar spürbar in Magen und Kopf, törichtes Wunder der wachen Sensibilität … Jeder, der mich anspricht, jedes Gesicht, dessen Augen mich ansehen, trifft mich wie eine Beleidigung oder wie eine Niedertracht. Das Entsetzen über alles steht mir bis zum Hals. Mir wird schwindlig vom Fühlen, wie ich all dies fühle.
    Und in diesen Momenten der Verzweiflung meines Magens steht fast immer ein Mann, eine Frau oder ein Kind als wirklicher Repräsentant dieser Banalität vor mir, die mich quält. Nicht repräsentativ für ein subjektives, überlegtes Gefühl meinerseits, sondern für eine objektive Wahrheit, die äußerlich dem entspricht, was ich innerlich fühle, und mir durch eine magische Analogie das Beispiel für die Regel liefert, die ich aufstelle.

312
    Es gibt Tage, an denen jeder Mensch, dem ich begegne, und noch mehr die Menschen, mit denen ich zwangsläufig Umgang habe, wie Symbole aussehen und entweder einzeln oder miteinander verbunden eine prophetische oder okkulte Schrift bilden, aufgezeichnet aus Schatten meines Lebens. Das Büro wird zu einer Seite mit Worten aus Menschen; die Straße ist ein Buch; die Worte, die ich mit gewohnten und ungewohnten Menschen wechsle, sind Phrasen, für die mir das Wörterbuch, nicht aber ganz das Verständnis fehlt. Sie sprechen und drücken etwas aus, aber sie sprechen nicht von sich selbst und drücken sich nicht selbst aus; es sind, wie gesagt, Worte, und sie zeigen nichts, sie lassen durchscheinen. Doch in meiner verdämmernden Vision gewahre ich nur undeutlich, was diese plötzlich auf der Oberfläche der Dinge enthüllten Glasscheiben von jenem Inneren erkennen lassen, das sie verhüllen und enthüllen. Ich begreife ohne Kenntnis, wie ein Blinder, dem man von Farben redet.
    Bisweilen, wenn ich durch die Straßen gehe, vernehme ich Bruchstücke intimer Gespräche, und fast alle betreffen die andere Frau, den anderen Mann, den jungen Mann einer dritten oder die Geliebte eines vierten …
    Beim bloßen Anhören dieser Schatten menschlicher Rede, worin sich erschöpft, womit sich die Mehrheit bewußter Menschen beschäftigt, überkommt mich Abscheu und Langeweile, eine Angst vor dem Exil unter Spinnen und das Bewußtsein, unter wirklichen Menschen erdrückt zu werden; ich fühle mich dazu verurteilt, dem Vermieter und den übrigen Mietern des Häuserblocks gegenüber ein gleichgestellter Nachbar zu sein, der angeekelt durch das hintere Gitter des Lagerraums den fremden Müll betrachtet, der sich bei Regen in dem Hinterhof stapelt, der mein Leben ist.

313
    Das Glück all jener Menschen, die nicht wissen, daß sie unglücklich sind, verärgert mich. Ihr Leben ist für einen wirklich Sensiblen eine Abfolge quälender Ängste. Da aber ihr wahres Leben rein vegetativ ist, geht das Leid durch sie hindurch, ohne ihre Seele zu berühren, und sie leben ein Leben, vergleichbar nur dem eines Menschen, bei dem sich zusammen mit dem Zahnschmerz das Glück einstellt: das unverfälschte Glück zu leben, ohne sich dessen bewußt zu sein, das größte uns von den

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