Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
des Nicht-Seins. Ein andermal steht es hinter uns, sichtbar nur, wenn wir uns nicht nach ihm umsehen, und es ist die Wahrheit, zutiefst entsetzt, daß wir sie nicht erkennen.
Doch der Schrecken, der mich heute vernichtet, ist weniger edel und zehrt mehr an mir. Es ist ein Verlangen, nicht denken zu wollen, ein Wunsch, nie irgend etwas gewesen zu sein, eine bewußte Verzweiflung aller Zellen des Körpers und der Seele. Das unvermittelte Gefühl, eingesperrt zu sein in einer unendlichen Zelle. Wohin die Fluchtgedanken richten, wenn allein die Zelle alles ist?
Dann packt mich ein überwältigender, absurder Wunsch nach einer Art Satanismus, vor Satan noch, ein Wunsch, daß sich eines Tages – ein Tag ohne Zeit und Substanz – ein Fluchtweg aus Gott heraus finden und das Tiefste in uns aufhören möge, ein Teil des Seins oder Nicht-Seins zu sein.
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Es gibt eine Schläfrigkeit, verbunden mit freischwebender Aufmerksamkeit, die ich nicht erklären kann und die mich häufig überfällt, falls man von etwas so Abstraktem überhaupt sagen kann, daß es einen überfällt. Ich gehe durch eine Straße, als säße ich, und meine stets wache Aufmerksamkeit ist träge wie ein rundum ruhender Körper. Ich wäre nicht imstande, einem mir Entgegenkommenden bewußt auszuweichen. Ich wäre nicht imstande, mit Worten oder auch nur für mich, in Gedanken, eine Frage eines zufällig meine Zufälligkeit Kreuzenden zu beantworten. Ich wäre nicht imstande, einen Wunsch, eine Hoffnung zu hegen, irgend etwas, das eine Bewegung meines, wenn ich so sagen darf – Gesamtwillens darstellte, oder gar meines Teilwillens, wie er jedem Element eigen ist, aus dem ich bestehe. Ich wäre nicht imstande zu denken, zu fühlen, zu wollen. Und ich gehe, gehe weiter, gehe umher. Nichts an meinen Bewegungen (ich bemerke, was andere nicht bemerken) läßt den Stillstand erkennen, in dem ich mich bewege. Und dieser Zustand seelischer Abwesenheit, der für einen Liegenden oder Lehnenden bequem, weil natürlich wäre, ist für einen Menschen, der auf der Straße geht, merkwürdig unbequem, ja, sogar schmerzlich.
Es ist, als sei man trunken vor Trägheit, betrunken, ohne Freude am Trinken noch an der Trunkenheit. Es ist, als sei man krank, ohne Hoffnung auf Genesung. Ein heiteres Sterben.
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Ein leidenschaftsloses, kultiviertes Leben leben, im Freien der Ideen, lesend, träumend und ans Schreiben denkend, ein Leben, so hinlänglich langsam, daß es stets dem Überdruß nahe kommt, doch hinreichend überlegt, um ihm nicht zu nahe zu kommen. Dieses Leben fern von Gefühlen und Gedanken leben, nur in Gedanken an Gefühle und an die Gefühle der Gedanken. Golden stillstehen in der Sonne wie ein dunkler, von Blumen gesäumter See. Im Schatten so einzigartig vornehm sein, nichts zu verlangen vom Leben. In der Volte der Welten Blütenstaub sein, aufgewirbelt von einem ungekannten Wind in die Nachmittagsluft und von der reglosen Abenddämmerung fallen gelassen an einem Zufallsort, sich verlierend unter größeren Dingen. Dies alles in sicherem Wissen sein, weder heiter noch traurig, der Sonne dankbar für ihren Schein und den Sternen für ihre Ferne. Nicht mehr sein, nicht mehr haben, nicht mehr wollen … Die Musik des Hungrigen, das Lied des Blinden, das Andenken des unbekannten Wanderers, die Spuren des Kamels in der Wüste, ohne Last noch Ziel …
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24 . 3 . 1930
Gleichmütig lese ich erneut – und empfinde sie wie eine Inspiration, eine Befreiung – die einfachen Sätze Caeiros [10] , die auf das verweisen, was sein kleines Dorf vermag. Von diesem Dorf aus, sagt er, könne man, da es so klein sei, mehr von der Welt sehen als von der Stadt aus, und deshalb sei sein Dorf größer als die Stadt …
»Denn ich bin so groß wie das, was ich sehe,
Und nicht so groß, wie ich bin.« [11]
Sätze wie diese, die ohne einen sie diktierenden Willen zu wachsen scheinen, reinigen mich von aller Metaphysik, die ich spontan dem Leben hinzufüge. Nachdem ich sie gelesen habe, trete ich an mein Fenster über der engen Straße, betrachte den großen Himmel und seine vielen Gestirne und bin frei mit einem beflügelnden Glanz, dessen Schwingung in meinem ganzen Körper nachbebt.
»Ich bin so groß wie das, was ich sehe!« Jedesmal, wenn ich diesen Satz mit der gesammelten Aufmerksamkeit meiner Nerven denke, scheint er mir mehr dazu bestimmt, das Weltall mit all seinen Sternen wieder zu errichten. »Ich bin so groß wie das, was ich sehe!« Welch
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